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Der Bergfex

Den Watzmann hat Martin Grabner anfangs „gehasst“. Ein Gefühl, wie man es wohl haben muss, wenn man sich als engagierter Anfänger mit heraushängender Zunge, Schwächeanfällen und einem „Kniescheibentanz“, der seinesgleichen sucht, fortbewegt.

Wie der Grafiker Martin Grabner zum Gipfelstürmer wurde

Von Peter Illetschko

 Den Watzmann hat Martin Grabner anfangs „gehasst“.  Ein Gefühl, wie man es wohl haben muss, wenn man sich als engagierter Anfänger mit heraushängender Zunge, Schwächeanfällen und einem „Kniescheibentanz“, der seinesgleichen sucht, fortbewegt. Vor mittlerweile zehn Jahren ging Grabner  mit seiner Lebensgefährtin Ulli auf das insgesamt 2713 Meter hohe, sagenumwobene Bergmassiv in den Berchtesgadener Alpen. „Damals eine absolut mörderische Tour,“ stöhnt er noch heute. 
Der Berg aber hatte ein Einsehen und warf Grabner nicht ab wie die Hauptfigur in dem Rustical „Der Watzmann ruft“ von Wolfgang Ambros,  Joesi Prokopetz und Manfred Tauchen. Immerhin  2650 Meter schaffte er –  und erreichte das Watzmann-Hocheck, ein beliebtes Ziel für konditionsstarke Bergwanderer, die nicht über den ausgesetzten Kletterweg auf die Mittelspitze, den Hauptgipfel, kraxeln wollen.

Der so amateurhafte Watzmann-Bezwinger ließ sich nicht unterkriegen. Grabner, damals Grafiker bei der Tageszeitung DER STANDARD, begann, sich für die Berge zu interessieren, indem er Literatur darüber las. Bücher des größten lebenden Bergsteigers  Reinhold Messner über den Mount Everest zum Beispiel. Aus dem Hass wurde Neugier. Grabner wollte weitermachen und wurde dabei anfangs von seiner besseren Hälfte  kräftig angefeuert. „Sie hat immer neue Touren vorgeschlagen.“ Dass er seit seinem 15. Lebensjahr Typ-1-Diabetiker ist, störte ihn dabei kaum. Grabner war dank einer Basis-Bolus-Therapie bestens eingestellt. Viele Pausen zur Zuckerkontrolle und stets griffbereite Gummibären, die er beim Sport dem üblichen Traubenzuckerwürfel vorzieht  - weil man schwer atmend Probleme beim Verzehr der bröckelnden Blättchen bekommen könnte – waren die durch den Diabetes bedingten Voraussetzungen.

Bergwandern allein wie beim ersten Mal, sollte es aber nicht bleiben. Grabner ging in Kurse des Alpenvereins– er ließ sich zeigen, wie man Hochtouren im Eis geht und letztlich auch wie man klettert, auf dass aus dem Amateur ein Profi werde. Im Laufe der Jahre bewältigte er – meist gemeinsam mit der Lebensgefährtin – immer größere Touren und suchte sich naturgemäß auch immer höhere Gipfel aus.

 Besonders gut kann er sich noch an den ersten Dreitausender erinnern. Die „Wilde Kreuzspitze“, 3135 Meter hoch zwischen mittlerem Pfitschtal und Wildem See in  Südtirol,  war  ein ganz besonderer Meilenstein. Auf einer Höhe von 3000 Metern sagte Ulli zu ihm, wenn man seiner Erinnerung heute trauen darf: „Jetzt hast du 3000 Meter erreicht, jetzt können wir umkehren.“ Er aber schüttelte angeblich nur den Kopf und ging wortlos weiter, trotzig durch den Schnee stapfend und, wie er heute auch zugibt, „völlig fertig“. Sie folgte ihm wütend und mindestens ebenso trotzig. Oben angelangt war der Zorn verraucht. „Der Abstieg war dann ganz toll, eine Rutschpartie auf dem Schnee, aber völlig ungefährlich für uns.“

Kommt da Romantik auf, wenn man beim Gipfelkreuz sitzt, sich in das Gipfelbuch einträgt und den prächtigen Ausblick genießt? „Der Rundblick ist natürlich großartig“, sagt Grabner, aber ...Grabner übelegt. Nein, eigentlich keine Romantik. Man sitze da und knipse das eine oder andere Foto. „Eine recht stille Messe, die man da hält.“ Im Nachhinein allerdings sei es schon „berauschend“.

Gipfel erstürmen heißt aber auch Rückschläge einstecken. Grabner, der auch begonnen hatte regelmäßig Laufen zu gehen und mittlerweile dreimal den Wiener Marathon vollendete, musste in der Dachstein-Region einsehen, dass man auch nachgeben können muss, ohne das Ziel „Gipfel“ zu erreichen. Für einen Klettersteig, für den man die Füße verwenden sollte, gebrauchte er unwissend die Hände, um sich festzuhalten – und hing plötzlich hilflos in der Luft. Er hatte keine Kraft mehr, sich festzuhalten. Er war zwar bestens gesichert und daher außer Lebensgefahr, aber das stärkste Gefühl, das ihn dabei überkam, war dennoch: „Angst!“ Grabner sah schon die Bergrettung kommen, schaffte es aber, sicher wieder ins Tal zu kommen.

Seither hat er vor Klettersteigen Respekt, lässt sich aber keinesfalls davon abhalten, immer höhere Berge in Angriff zu nehmen. Dabei merkte er, der bis heute regelmäßig Wandern geht, um in Form zu bleiben, dass Stress und Anstrengungen und die meist zu geringe Flüssigkeitszufuhr beim Bergsteigen den Zucker eher nach oben treiben. Und dass ab einer bestimmten Höhe die meisten Messgeräte nicht mehr so exakt funktionieren wie gewohnt. Aber erst ab Höhen von 5000 Metern und mehr.

Die beiden jüngsten Meilensteine des „Bergfex“ waren der 5150 Meter hohe Kongmaru-La , ein Himalaya-Pass in Ladakh in Indien, zum Aufwärmen, und schließlich der 6059 Meter hohe Chulu Far East in Nepal, der Grabner an neue Grenzen der Belastbarkeit führte, die er bisher nicht kannte. Der Grafiker, der inzwischen zum freien Autor und Journalisten umsattelte, berichtete von all diesen Abenteuern in ausführlichen Reportagen.

Das für ihn wichtigste Ziel wird ihn irgendwann in den nächsten Jahren wieder nach Nepal führen. Der 8188 Meter hohe Cho Oyu wartet. Doch davor will Grabner wieder in die „Schule“ gehen und sich in einer umfassenden Ausbildung für diese Höhen auf diese Tour vorbereiten.