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Daten-Tsunami für individuelle Therapien

Der Patient der Zukunft wird eine Fülle von Daten liefern. Sein Benefit: die Therapien, die er braucht, werden immer persönlicher erstellt.

Von Peter P. Hopfinger

Toiletten, die menschliche Exkremente analysieren und hohes Cholesterin aufdecken. Mini-Sensoren, die im Minutentakt den Blutzucker analysieren. Wearables – also Bekleidung, die Blutdruckwerte, Schweiß-Analysen und Herzfrequenzen speichern. Die Google-Brille, die über kurz oder lang funktionieren wird. Der Patient der Zukunft wird eine Fülle von Daten liefern. Sein Benefit: die Therapien, die er braucht, werden immer persönlicher erstellt. Die Rolle des Arzt-Gespräches wird dabei immer unwichtiger.

Die entstehenden Allianzen sind global: der weltgrößte Insulinhersteller Novo Nordisk arbeitet in Zukunft mit Roche, einem der größten Hersteller für Zucker-Messsysteme zusammen. Auch der französische Konzern Sanofi und der englische Hersteller Abbott haben das für die Zukunft vereinbart. Fakt ist: die spezialisierten Ärzte werden – nicht nur in Österreich – immer weniger. Das Paradoxon: trotzdem wird die Therapie für Langzeiterkrankte – wie etwa Bluthochdruck-, Adipositas- oder Diabetes-Patienten – immer individueller, immer genauer auf den einzelnen Patienten angepasst.

Aktuell ist ein chinesisches Startup-Unternehmen in den Schlagzeilen. Es kann mit einer neu entwickelten Toilettenanlage die Ausscheidungen jedes Menschen analysieren und entsprechende Analysen erstellen. Seit einigen Jahren kursiert das Gerücht von der Google-Brille, die via Augenscan diverse Krankheiten bei ihren Trägern erkennen kann. Auch Wearables wie Uhren, Brustgurts und auch High-Tech-T-Shirts übermitteln bereits heute aktuelle Gesundheitsdaten wie Blutdruck, Pulsfrequenz und mehr.

Dazu kommen Apps wie etwa Runtastic, MySugr und andere heimische Entwicklungen, die chronisch kranke Patienten mit Adipositas, Prä-Diabetes oder bereits entwickelter Zuckerkrankheit unterstützen.

Noch herrscht in der Gemeinde der Erkrankten – rund 470 Millionen weltweit, rund 48 Millionen in der EU und etwa 800.000 in Österreich – große Verunsicherung, was die Daten angeht, aber andererseits werden sie wohl wenig Auswahl haben. Denn einerseits versprechen die Global Players einzelne Datensätze zunächst zu pseudo- und dann zu anonymisieren, andererseits lassen sich heute dank Meta-Analysen auch sehr individuelle Therapien erstellen.

Ein anderer Faktor ist die Entwicklung neuer Medikamente. Gab es vor 50 Jahren nur drei Medikamente für Zuckerkranke – Biguanide, Metformin und unterschiedlich lang wirkende Insuline – so sind es heute neben den verbesserten Insulinen etwa sechs weitere Medikamente, die allesamt miteinander kombiniert werden können.

„Die Palette der möglichen Behandlungsformen ist deutlich breiter geworden“, weiß auch die designierte Präsidentin der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (der Ärzte), Univ. Prof. Dr. Susanne Kaser aus Innsbruck.

Den Analysten ist klar: ab 2020 wird sich die Menge der Daten, die Langzeit-Erkrankte liefern, etwa alle 70 Tage verdoppeln und die einzelnen Betroffenen haben natürlich Sorge, was mit ihren Daten passiert. Dennoch ist die individuelle Beratung mehr als nur wünschenswert. Ein Pionier auf diesem Sektor ist zweifellos der Internist Dr. Müller-Korbsch vom Wiener Wilheminenspital. Er ist nicht nur selbst an Diabetes erkrankt, sondern betreut auch rund 80 Patienten vorwiegend online. Rund 80 Patienten übermitteln ihm ihre Messergebnisse per Internet und bekommen als Antwort auch konkrete Anweisungen für den Umgang mit ihrer chronischen Erkrankung. Und die schließt im Fall von Diabetes auch oft Fettleibigkeit, Bluthochdruck und andere Folgen wie etwa erektile Dysfunktion bei Männern oder Vaginalpilze bei Frauen ein.

Der zu erwartende Daten-Tsunami hat zweierlei Konsequenzen: einerseits kann für den einzelnen Patienten dank der genauen Analyse eine wesentlich exaktere Therapie als bisher angeboten werden. Andererseits können die Pharmakonzerne aus den Abermillionen Datensätzen riesige Meta-Analysen abgeleitet werden, die wiederum helfen sollen, noch effektivere Medikamente zu entwickeln.

Die Sorge von Patienten, dass ihre höchstpersönlichen Gesundheitsdaten missbräuchlich verwendet oder gar gehandelt werden versuchte Mikki Nasch, Mitbegründerin und Vice President Business Development des US Unternehmens Evidation Health, die eng mit dem Insulinhersteller Sanofi kooperiert, zu entkräften: „Was an Daten bei uns in der Cloud landet, wird zuerst pseudonymisiert und dann in einem Extradurchgang anonymisiert.“

Auch Novo Nordisk, weltgrößter Insulinhersteller, hat bereits mehr als eine Milliarde Euro in den Einstieg in den elektronischen Markt investiert. Der Insulinpen NovoPen® 6, der Anfang des kommenden Jahres auch in Österreich zu haben sein wird, speichert 500 Injektionen mit Datum und Uhrzeit, aber auch die Menge des injizierten Insulins und kann diese Daten per Bluetooth-Technologie an diverse Apps, Zuckermessgeräte oder auch kontinuierlich messende Systeme (CGMs) selbständig weitergeben und so zum besseren Verständnis für Zuckerverläufe beitragen.

Bei all dem Fortschritt bleibt eins naturgemäß auf der Strecke: das persönliche Gespräch mit dem behandelnden Arzt. Praktische Ärzte haben bereits jetzt nur durchschnittlich drei Minuten Zeit für den einzelnen Patienten. Das wird sich wohl kaum verbessern.