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Das Fahrrad ist und bleibt ihr „Happy Place“

Weder Diabetes Typ-1 noch die aktuelle Corona-Pandemie können den Optimismus von Rad-Profi Mandy Marquardt bremsen.

Rad-Profi Mandy Marquardt fährt schnurstracks Richtung Erfolg. Weder Diabetes Typ-1, noch die aktuelle Corona-Pandemie können den Optimismus der 28-jährigen Deutsch-Amerikanerin bremsen. Das große Ziel: Die nächsten Olympischen Spiele, bei denen das Mitglied der US-Rad-Mannschaft und des Novo Nordisk-Teams wieder siegen will.

Von Elisabeth Schneyder

„Wir stehen das gemeinsam durch“, macht Mandy Marquart auf ihrer Facebook-Seite anderen Mut. Dazu ein Foto, das die junge Bahnrad-Sprinterin im Trainingsoutfit zeigt – natürlich auf ihrem geliebten Colnago-Bike, mit dem sie auch jetzt über Pennsylvanias Straßen fegt. Alleine, wohlgemerkt. Denn der Aufruf zur freiwilligen Selbst-Isolation, die der Verbreitung des Corona-Virus entgegenwirkt, ist ihr sehr wichtig. Ebenso, wie positive Motivation für andere Diabetiker, um die sie sich seit Jahren bemüht.

Der 28-jährige Rad-Superstar gilt nicht nur als große Olympia-Hoffnung des US-Nationalteams, sondern auch als leuchtendes Beispiel dafür, dass Diabetes keine Grenzen setzen muss. Selbst im Alter von 16 Jahren mit Diabetes Typ-1 diagnostiziert, weiß Mandy Marquardt nur zu gut, wie schwer es ist, mit diesem gravierenden Einschnitt ins gewohnte Leben umzugehen. Die Angst, dem Spitzensport „Adieu“ sagen zu müssen, war groß, als ein Routinetest im November 2007 zur Diagnose führte. Vor allem, weil der Arzt mitteilte, Mandy werde nicht mehr an Top-Bewerben teilnehmen können.

Doch der Wille der im deutschen Mannheim geborenen Sportlerin war stärker als alle Prognosen. Wer schon als Kind weiß, was er will, lässt sich schließlich durch nichts von seinen Zielen trennen.

Als Sechsjährige mit ihrer Familie nach Florida übersiedelt, errang Mandy Marquardt schon im zarten Alter von zehn Jahren Erfolge bei nationalen Rad-Meisterschaften ihrer Altersklasse. Mit 15 ging sie zurück nach Deutschland, wo ihr Vater lebte, und startete bei deutschen Bahnmeisterschaften. Der Weg an die Spitze schien vorprogrammiert: Zwei Mal hintereinander eroberte Marquardt den dritten Stockerlplatz im 500-Meter-Zeitfahren der Juniorinnen.

Die Diabetes-Diagnose geriet zum Grund, Deutschland doch wieder Richtung USA zu verlassen. Denn in der alten Heimat blieb die erhoffte Unterstützung aus, schilderte Marquardt jüngst in der deutschen „Welt“: „Auch die Trainer vermittelten mir das Gefühl, dass ich eine Bürde für sie sei. Da bin ich zurück nach Amerika“. In einem Kinderkrankenhaus in Fort Lauderdale fand die junge Diabetikerin die Hilfe, die sie brauchte: Erstklassige Ernährungsberatung und Expertenrat für den verantwortungsvollen Umgang mit dem „Zucker“, der ihr Leben vorübergehend so bitter gemacht hatte.

Und damit nicht genug: Mandy Marquardt lernte in den USA auch ein 2008 gegründetes Rad-Team kennen, das sich just für Menschen wie sie engagiert – nämlich jenes des Pharma-Unternehmens Novo Nordisk, eines führenden Herstellers spezieller Diabetes-Medikamente. Ein Team, dessen Mitglieder samt und sonders Diabetiker sind.

Ein Glücksfall, der Marquardts Karriere neuen Auftrieb gab. Auch, weil ihr dadurch bald beruhigend klar wurde, dass sie doch nicht alleine dasteht, wie sie sich in der „Welt“ erinnert: „Wir saßen 2010 im Trainingslager eines Abends in einem Raum. Und zum ersten Mal in meinem Leben war ich dabei mit anderen Diabetikern zusammen. In Deutschland hatte ich keine kennengelernt, die auch Sportler waren“.

Dass sich hier auch professionelle Rundum-Betreuung als Programm-Fixpunkt erwies, half Mandy Marquardt, sich wieder ganz auf ihre sportlichen Ziele zu konzentrieren. Wobei: Sie hat, wie sie berichtet, ein eigenes System entwickelt, mit dem sie alles optimal managen kann – ihr Training UND den Diabetes. Auch über verschiedene Zeitzonen hinweg. Die Team-Ärzte erhalten auf elektronischem Weg ständig Marquardts Werte, egal, wo sie sich gerade befindet. Und, so die Sportlerin: „Alle Entscheidungen, die ich fälle, richten sich nicht danach, dass ich eine Sportlerin bin, sondern dass ich Diabetikerin bin“.

Auch jetzt, nach zehn Jahren im Novo Nordisk Team, gebe es noch „schwierigere“ Phasen, berichtet Marquard in ihrem Blog (https://mandymarquardt.wordpress.com/blog-2 ): „Es gibt Tage, an denen mein Diabetes unvorhersehbar ist, obwohl ich versuche, alles richtig zu machen. Es ist unmöglich, den perfekten Diabetes zu haben. Ich habe gelernt, diese Herausforderungen anzunehmen – durch alle Höhen und Tiefen – und mir dann einfach coole Diabetes-Geräte und Rat zu holen. Das hat mir wiederum das Wissen und die Willenskraft verschafft, besser mit dem Diabetes zu leben als noch vor 12 Jahren. So, dass ich vor allem ein gesundes, langes Leben führen und jetzt mein volles Potenzial ausschöpfen kann“.

Ihrem Erfolg tut’s keinen Abbruch. Mit ausgewogener Kombination von Lernarbeit und Radsport absolvierte Mandy Marquardt ihr Business Management Studium an der Pennsylvania State University Lehigh Valley, das sie 2014 abschloss. Obendrein ist sie inzwischen ausgebildete Trainerin und arbeitet derzeit als solche am Campus „ihrer“ Uni. Dort teilt sie gerne ihr Wissen und betreut andere Fahrer.

Zugleich konzentriert sie sich „full time“ aufs Radfahren, trainiert bis zu 30 Stunden pro Woche und achtet genau auf optimale Ernährung: „Ich habe genug Erfahrung, um zu wissen, was ich essen kann“. Proteine und Salat haben dabei Vorrang vor Pasta und Co. Und damit kommt Marquardt bestens zurecht: „Ich habe meine Werte sehr gut im Griff und muss auch gar nicht oft Insulin spritzen“.

Sie feilt weiterhin mit voller Kraft an ihrer Sport-Karriere: Sowohl im US-Nationalteam, als auch in jenem von Novo Nordisk –  also dem ersten All-Diabetes-Profi-Radsportteam der Welt, für das die lebensfrohe junge Frau seit 2009 fährt. Eine Mannschaft, der sie, wie sie immer wieder betont, sehr viel zu verdanken hat. Und eine, die sie für ihr Anliegen nützt, andere Diabetiker zu unterstützen: „Mit dem Team wollen wir weltweit darauf aufmerksam machen, was mit dieser Krankheit alles möglich ist. Und wir wollen betroffenen Kindern zeigen, dass sie nicht aufgeben sollen, sondern viel erreichen können“.

Dass die Diabetikerin selbst ihre Ziele konsequent verfolgt und stets auf der Siegerstraße bleibt, beweist die Liste ihrer Erfolge. 2014 wurde Mandy Marquardt zweifache US-amerikanische Meisterin im 500-Meter-Zeitfahren und – gemeinsam mit Shelby Walter – im Teamsprint. Sie errang fünf Meistertitel von Florida und zwei als US-amerikanische Studentenmeisterin.

Bei den Panamerika-Meisterschaften 2017 holte sich Marquardt gar gleich drei Medaillen: Gold im Teamsprint mit Madalyn Godby, Silber in der aus Japan stammenden Sprint-Variante „Keirin“ (auch „Kampfsprint“ genannt) und Bronze im 500-Meter-Zeitfahren. 2018 schaffte sie bei den kontinentalen Meisterschaften Platz zwei im Teamsprint (wieder mit Kollegin Godby). Und 2019 wurde die Deutsch-Amerikanerin Dritte im Sprint.

Ihr Engagement für Menschen mit Diabetes hat sie dabei allerdings nie vergessen. Mandy Marquardt macht anderen Betroffenen Mut. Nicht nur durch ihre Siege: „Ich genieße es, dem Sport etwas zurückzugeben, indem ich Athleten auf College-Ebene betreue und coache. Neben der Inspiration von Diabetikern auf der ganzen Welt ist trotz des Lebens mit Diabetes alles möglich“, wird sie etwa in der „Welt“ zitiert. Und wer ihre Postings auf Facebook verfolgt, findet auch dort jede Menge positive Motivation.

Als große Olympische Hoffnung gilt Marquardt, wie erwähnt, ja sowieso. Auch wenn die Austragung der Spiele 2020 derzeit wegen der dramatischen Ausbreitung des Corona-Virus wackelt: Wer sich schon bisher – wie die unerschrockene Mandy Marquardt – von nichts aufhalten ließ, lässt sich auch weiterhin von nichts beirren.

Diabetes, Corona oder was auch immer: Mandy macht weiter. Mit Vernunft und Herz und Hirn. Mit gutem Beispiel, das auch anderen hilft, und eigenen großen Zielen. Und schon allein ihr Foto vom aktuellen Training lässt alles halb so düster aussehen, wie es in diesen Tagen scheinen mag. Marquardt tritt in die Pedale. Allein, um sich und andere zu schützen. Und spendet dabei Zuversicht – vom Sattel jenes Sportgerätes aus, das sie liebevoll als ihren „Happy Place“ bezeichnet: Dem Rad, mit dem sie schon bisher alle Schwierigkeiten überwunden hat.