Cannabis und Diabetes
Foto: Outlook - Releaf Medical Cannabis
Wurde der echte Hanf (botanischer Name: Cannabis sativa) früher hauptsächlich zur Herstellung von zahlreichen Gebrauchsgegenständen wie Kleidung, Schiffstauwerk und Papier genutzt, rückten jüngst seine medizinisch wertvollen Inhaltsstoffe, die sogenannten Cannabinoide, ins Licht des allgemeinen Interesses.
Von Mag. Christopher Waxenegger*
Cannabinoide in uns?
Zurückzuführen ist dies vor allem auf die Entdeckung des Endocannabinoid-Systems (ECS). Das ECS ist Teil des menschlichen Nervensystems und verfügt über eigene Andockstellen für Botenstoffe, namentlich Cannabinoid 1- (CB1) und CB2-Rezeptoren. Diese werden jedoch nicht nur durch Cannabinoide aus dem Hanf aktiviert, sondern ebenso durch natürliche körpereigene Botenstoffe. Aufgrund ihrer Verteilung1 werden die resultierenden Rezeptor-Botenstoff-Interaktionen mit verschiedenen Körperfunktionen in Verbindung gebracht. Mittlerweile sind eine Reihe anderer Rezeptoren hinzugekommen, von denen ebenfalls angenommen wird, dass sie Teil des ECS sind.
Die körpereigenen Botenstoffe werden erstaunlicherweise nicht gespeichert, sondern lediglich bei Bedarf auf einen Stimulus hin synthetisiert und freigesetzt. In der Regel hemmen sie dann die Übertragung von Signalen. Physiologische Prozesse, die durch das ECS beeinflusst werden, sind unter anderem Schmerzempfindung, Übelkeit/Erbrechen, Appetit und Schlafverhalten. Dementsprechend wird die gezielte Zufuhr von Cannabinoiden, insbesondere der beiden Reinsubstanzen Dronabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), in der Medizin zur Behandlung von Schmerzen oder Krämpfen im Rahmen von malignen oder neurologischen Erkrankungen genutzt.
Wundermittel Cannabidiol?
Von besonderem Interesse ist CBD, welches im Gegensatz zu THC weder psychotrope Wirkungen verursacht noch abhängig macht und folglich nicht der Betäubungsmittelverordnung unterliegt. Tatsächlich ist CBD in gewissen Konzentrationen in Form von Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln oder als Bestandteil von Kosmetika frei erhältlich. Seit geraumer Zeit wird der Markt mit diversen CBD-Produkten regelrecht überschüttet. Da es sich dabei um keine zugelassenen und geprüften Arzneimittel handelt, sind keine klaren Gebrauchsempfehlungen wie z.B. „zur Behandlung von Schlafstörungen“ erlaubt. Zurzeit gibt es ausschließlich zwei, in klinischen Studien hinreichend geprüfte, Medikamente, in denen CBD enthalten ist:
- Sativex®-Spray: Zusatzbehandlung gegen Spastiken (Tonuserhöhung der Muskulatur) bei Patienten mit Multipler Sklerose
- Epidyolex®: Zusatzbehandlung bei Krampfanfällen, die bei Patienten ab 2 Jahren mit dem Lennox-Gastaut-Syndrom oder dem Dravet-Syndrom einhergehen
Für alle anderen Anwendungsgebiete fehlen Studien mit Wirknachweis.
Warum sind Cannabinoide wie CBD für Menschen mit Diabetes trotzdem attraktiv?
CBD besitzt neben seiner antispastischen und antikonvulsiven Wirkung neuroprotektive, entzündungshemmende, schmerzlindernde und antioxidative Eigenschaften. Ein Großteil dieser Erkenntnisse zu CBD stammt aus präklinischen Untersuchungen an Zellkulturen und einigen Tierstudien. Aus eben diesen gewann man zudem die Erkenntnis, dass die Entwicklung von Diabetes und die Entstehung seiner Folgeerkrankungen mit dem ECS in Verbindung stehen könnte. Bekanntlich sind oxidativer Stress und entzündliche Vorgänge an der Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse beteiligt. Auch bei Gewebeschäden infolge der hohen Blutzuckerwerte, etwa der Verschlechterung der Sehkraft, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und dem diabetischen Fußsyndrom, scheint das ECS eine Rolle spielen. Diese theoretischen Überlegungen müssen allerdings erst in kontrollierten Studien verifiziert werden.
Trotz der derzeit noch mangelhaften Datenlage forschen pharmazeutisch orientierte Firmen schon seit längerem intensiv an weiteren Einsatzgebieten von Cannabinoiden. Erst am 9. Juli dieses Jahres hat beispielsweise das international namhafte Unternehmen Innocan Pharma eine Patentanmeldung für die topische (lokale) Behandlung von Diabetes-Symptomen eingereicht. Die Firma erweitert damit ihr Portfolio an geistigem Eigentum von Produkten auf Basis von Cannabis. Ein kluger Schachzug, wenn man bedenkt, dass allein der globale Diabetes-Fußpflegemarkt im Jahr 2019 mit knapp 335 Millionen US-Dollar bewertet wurde.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Cannabinoide ein großes medizinisches Potenzial innehaben von welchen in Zukunft auch speziell Menschen mit Diabetes profitieren könnten. Obwohl noch am Beginn der Forschung, lohnt es sich dieses vielversprechende Gebiet im Auge zu behalten.
1CB1-Rezeptoren v.a. auf Nerven, Gefäßzellen und in vielen Hirnregionen; CB2-Rezeptoren auf der Oberfläche von Immunzellen, in der Milz und der Mikroglia (multifunktionale Zellen im zentralen Nervensystem)
*Christopher Waxenegger ist Pharmazeut, Fach-Autor und Typ-1 Diabetiker.
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