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Blick in die Zukunft? Möglichkeiten der Insulinapplikation

Damit Insulin wirken kann, muss es die Blutbahn erreichen. Welche Ideen die moderne Forschung hervorbringt, um Patienten beim Management ihrer Erkrankung zu helfen.

Damit Insulin wirken kann, muss es die Blutbahn erreichen. Dies gelingt für gewöhnlich mit Spritzen, Pens und Pumpen. Doch es gibt noch andere Wege. Lassen Sie sich überraschen welche Ideen die moderne Forschung hervorbringt, um Menschen mit Diabetes beim Management ihrer Erkrankung zu helfen.

Von Mag. Christopher Waxenegger*

Warum etwas ändern?

Insulin ist ein Peptidhormon. Als solches wird es unter natürlichen Bedingungen im Magen-Darm-Trakt rasch abgebaut. Diese Erfahrung haben schon Pioniere der Diabetologie wie Frederick Banting und Charles Best gemacht. Nach der erfolgreichen Isolierung erkannten die beiden Mediziner relativ bald, dass Insulin am besten unter die Haut (subkutan) verabreicht wird. Und auch heute noch ist die subkutane Gabe von Insulin die sicherste und effektivste Form das Hormon in den Blutkreislauf zu bringen.

Gleichwohl ist die Handhabung einer Spritze, eines Pens oder einer Pumpe ungleich komplizierter als das Schlucken einer Tablette. Manche Patienten lehnen eine Insulintherapie überhaupt komplett ab. Zu den Beweggründen zählen unter anderem:

  • persönliche Einschränkungen im alltäglichen Leben
  • soziale und berufliche Konsequenzen
  • Überforderung mit der Therapie
  • Angst vor Nadeln (Nadelphobie)
  • Angst Fehler zu machen
  • Schmerzen bei der Injektion

Dies hat die Optimierung anderer Wege der Insulinsubstitution angestoßen, von denen manche sogar die Zulassung bewältigten.

Über die Lunge - Inhalativ

So merkwürdig es klingen mag, diese Art der Insulinapplikation hat es als eine der wenigen bis zur Marktreife geschafft. Inhalatoren bieten gegenüber Spritzen mehrere Vorteile wie Schmerzfreiheit, mehr Behandlungsflexibilität, gesteigertes Wohlbefinden und eine einfachere Handhabung. Vielleicht erinnern sich einige Leserinnen und Leser, dass es mit Exubera® von 2006 bis 2007 auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz ein zugelassenes Präparat gegeben hat. Angesichts geringer Verkaufszahlen verschwand das Medikament jedoch wieder aus dem Handel. Mit Afrezza® wurde in den USA 2014 dann ein neues Insulin zur Inhalation zugelassen, dass auf dem sogenannten Technosphere-Prinzip beruht. Insulin wird dafür an die Oberfläche von mikroskopisch kleinen Kügelchen gebunden (ähnlich den Pulverinhalatoren in der Asthmatherapie). Auf diese Weise lässt sich die Wirkung des Insulins besser steuern. Afrezza® ist in Europa nicht verfügbar.

Nadelfrei – Jet-Injektoren

Bei Personen mit ausgeprägter Spritzenangst leidet die optimale Einstellung des Blutzuckers unter ihrer Hemmung Spritzen und Insulinpens zu gebrauchen. Die Lösung für dieses Problem sind Jet-Injektoren - spezielle Applikationsgeräte mit denen eine nadelfreie, subkutane Injektion möglich ist. Insulin wird hierfür mithilfe eines Federmechanismus unter hohem Druck durch eine enge Öffnung ins Unterhautfettgewebe gepresst. Für manche Produkte gibt es einen optionalen Silikonaufsatz, mit dessen Hilfe der ausgeübte Druck besser verteilt wird.

Intraperitoneal – Applikation innerhalb des Bauchfellraumes

CIPII (continuous intraperitoneal insulin infusion) ist eine Sonderform der Diabetesbehandlung und für Brittle-Diabetes (Sonderform mit unvorhersehbaren und schwer kontrollierbaren Blutzuckerschwankungen) oder Menschen mit subkutaner Insulinresistenz gedacht. Den Patienten wird dazu unter Narkose ein Port im Fettgewebe des Unterbauches platziert und der Katheter in Richtung Pfortader/Leber ausgerichtet. Die Öffnung des Ports liegt auf der Hautoberseite und wird über einen Schlauch mit einer Insulinpumpe verbunden. Abgesehen von den hohen Kosten für eine solche Therapieoption schränken das Infektionsrisiko, Katheterverschlüsse und Thrombosen der Pfortader den Gebrauch erheblich ein.

Naheliegend – Insulin als Tablette

Das simple Schlucken einer Insulin-Tablette zur Blutzuckersenkung ist, technologisch gesehen, eine komplizierte Angelegenheit. Der Verdau von Peptiden im Magen und die geringe Bioverfügbarkeit (der Anteil der tatsächlich im Körperkreislauf ankommt) sind Herausforderungen, welche lange Zeit nur unbefriedigend gelöst werden konnten. Versuche mit magensaftresistenten Schutzüberzügen, Verkapselungen und Nanoemulsionen kamen meist nicht über das Versuchsstadium hinaus. Gegenwärtige Anstrengungen gehen in Richtung Nanopartikel bestehend aus Chitosan, Polyalkylcyanoakrylaten oder polymeren Hydrogelen. Insbesondere SNEDDS (self nanoemulsifying drug delivery systems) erbringen vielversprechende Ergebnisse. Ob und wann diese Insulin-Tabletten die Marktreife erlangen, hängt von den zurzeit in Planung befindlichen Phase-III-Studien ab.

Aufnahme im Mund – Bukkales Insulin

Bei der bukkalen Darreichung erfolgt die Aufnahme über die Schleimhaut der Backentasche und Zunge. Vorteilhaft wirken sich die fehlende Verdauung, die gute Durchblutung und die vergleichsweise große Resorptionsfläche aus. Gelangt ein Arzneistoff über die Mundschleimhaut ins Blut wird dieser zudem in die obere Hohlvene transportiert und umgeht damit den First-Pass-Effekt der Leber. Die Bioverfügbarkeit von bukkal verabreichten Insulin ist deshalb höher als nach per oraler Gabe.

Zurzeit sind zwei Ansätze vielversprechend. Einerseits Treibgas betriebene Sprays, bei denen durch den Zusatz von Tensiden, Emulgatoren und Lösungsvermittlern Insulin-gefüllte Mizellen entstehen (z.B. Oral-Lyn®). Zum anderen Bukkal-Tabletten mit schnell auflösenden Filmüberzügen (z.B. MidaForm®).

Interessant - Nasensprays

Nasal verabreichte Arzneistoffe wirken nicht nur lokal, sondern werden durch die Schleimhäute der Nase in die Blutzirkulation aufgenommen. Das funktioniert bei kleinen Molekülen besonders gut. Der Zusatz von Penetrationsverstärkern ermöglicht überdies die Aufnahme höhermolekularer Stoffe, von denen zum Beispiel Oxytocin und Desmopressin bereits in der Therapie Anwendung finden. Zentrale Vorteile von Nasensprays sind:

  • kein Verdau durch Enzyme
  • keine Injektion
  • keine Beeinträchtigung der Lungenfunktion

Auch Insulin (Nasulin®) wurde in klinischen Studien geprüft. Die Bioverfügbarkeit lag bei durchschnittlich 15–25% mit einem Wirkbeginn nach 10–20 Minuten. Nebenwirkungen umfassten vor allem lokale Irritationen sowie Brennen, Jucken und Rinnen der Nase. Bis jetzt sind keine Nasensprays mit Insulin erhältlich.

Transdermal – viele Hindernisse

Die Haut besteht grundsätzlich aus der Epidermis (Oberhaut) und dem Corium (Lederhaut), welche gemeinsam die Kutis bilden. Darunter, ohne feste Abgrenzung, liegt das Subkutangewebe. Die Epidermis setzt sich wiederum aus mehreren Schichten zusammen, wobei das Stratum corneum nicht nur für Krankheitserreger, sondern auch für große Moleküle wie Insulin die wichtigste Barriere darstellt.

Verfahren zur beschleunigten bzw. verbesserten Penetration derartiger Moleküle sind in Entwicklung und wurden zum Teil bei gesunden Freiwilligen getestet. Hierzu zählen die Iontophorese (elektrische Ströme), die Sonophorese (Ultraschallwellen), die mikrodermale Ablation (lokale Entfernung des Stratum corneum), die Elektroporation (Pulse mit sehr hoher Spannung) und Mikronadel-Systeme. Trotz zahlreicher technologischer Fortschritte sind transdermale Insulinpräparate in naher Zukunft unwahrscheinlich.

Vermutlich nicht praxistauglich – Insulin-Zäpfchen

Das Rektum besitzt eine Länge von etwa 15–20cm und wird von drei Hämorrhoidalvenen umgeben, von denen zwei in die untere Hohlvene und eine in die Pfortader münden. Anatomisch bedingt gelangt somit ein nicht unwesentlicher Teil des Insulins direkt zur Leber. Dies imitiert die natürliche Insulinsekretion und spricht für diese Applikationsart. Erfolgreich getestet wurden Insulin-haltige Zäpfchen und Rektalgele. Mit rund 30% ist die Bioverfügbarkeit dieser Applikationsroute höher als jene von per oralen, bukkalen und transdermalen Zubereitungen. Bis dato sind keine rektalen Fertigpräparate mit Insulin erhältlich.

Intraokulares Insulin – ein Tropfen pro Semmerl?

Da das menschliche Auge nur etwa 20–30μl Flüssigkeit aufnehmen kann (circa 1 Tropfen), sind Augentropfen in der Regel wässrig und hochkonzentriert. Fetthaltige Zubereitungen wirken zwar länger, schränken aber das Sichtfeld ein. Die hydrophobe (wasserabweisende) Natur des Insulins macht es schwierig eine geeignete Zusammensetzung zu finden, mit welcher eine ausreichende Wirkung erzielt werden kann. Nicht zuletzt muss diese Art der Applikation vom Patienten akzeptiert werden. Die Studienlage zu intraokularem Insulin ist ausgesprochen rar und beschränkt sich auf Tierstudien mit unzureichendem Effekt.

Ausblick

Der Wunsch Insulin auf einem anderen Weg als über Pens und Pumpen in den Blutkreislauf zu bringen hat unzählige Projekte angestoßen. Von den hier besprochenen, in Entwicklung befindlichen, Optionen ist per orales Insulin am weitesten fortgeschritten - etwa der Medikamentenkandidat ORMD-0801 von Oramed. Das Unternehmen führte bislang mehrere klinische Studien durch. Die jüngste und größte war eine in den Vereinigten Staaten durchgeführte 90-tägige Phase-II-Studie an mehr als 300 Teilnehmern mit Typ-2-Diabetes. Auch Novo Nordisk schickt eine per orale Insulin-Tablette (insulin-338) ins Rennen, die bereits Phase-II abgeschlossen hat. Für beide Wirkstoffkandidaten sollen nun Phase-III-Studien folgen.

Es bleibt also spannend in der Welt des Insulins.

 

*Christopher Waxenegger ist Pharmazeut, Fach-Autor und Typ-1 Diabetiker.