Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Typ 1 Diabetes
Typ 1 Diabetes (T1D) ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter. Allein in Österreich werden jährlich rund 300 Neudiagnosen gestellt. Die unwiderrufliche Zerstörung Insulin-produzierender Zellen erfordert eine lebenslange Insulintherapie, um Akut- und Spätkomplikationen wirksam zu verhindern.
Von Mag. Christopher Waxenegger*
Hierzulande leben etwa 1.600 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren mit T1D. Diese jungen Patienten altersgerecht zu versorgen ist nicht einfach. Gerade durch den vermehrten Einsatz von Diabetestechnologie (u.a. Pumpen, Sensoren, Apps) ist die Behandlung der Erkrankung noch komplexer geworden und stellt sowohl an die betroffenen Kinder als auch die Behandlungsteams hohe Anforderungen. Diese Teams bestehen in der Regel aus einem Sammelsurium verschiedener Fachdisziplinen, darunter Ärzte, Pflegepersonal Diabetesberater, Psychologen, Diätologen und Sozialarbeiter, welche die Familien tatkräftig unterstützen und ihnen beim Management des T1D helfen.
Diagnose und Ziele der Therapie
Für den Befund „T1D“ sind in erster Linie das Beschwerdebild und eine Blutzuckermessung ausreichend. Typische Symptome umfassen vermehrten Durst, häufige Toilettengänge, Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit oder (erneutes) Bettnässen. In Zweifelsfällen werden von ärztlicher Seite weitere Parameter herangezogen:
- Detektion T1D-assoziierter Autoantikörper (ICA, GAD65, IA2, IAA, ZnT8)
- Durchführung eines oralen Glukose-Toleranztests
- Bestimmung des Langzeitzuckerwerts HbA1c
- C-Peptid als Marker für die körpereigene Insulinproduktion
Im Unterschied zu vielen anderen chronischen Erkrankungen ist T1D vergleichsweise wenig von den Genen abhängig. Lediglich 10 bis 15 Prozent der Patienten haben eine positive Familienanamnese. Bemerkenswert ist jedoch, dass T1D, von daran erkrankten Vätern, mit dreimal so hoher Wahrscheinlichkeit weitervererbt wird als von erkrankten Müttern. Warum das so ist, bleibt Gegenstand der Forschung.
Zu den wesentlichen Behandlungszielen bei Kindern und Jugendlichen gehören:
- die Vermeidung von Stoffwechselentgleisungen
- die Vermeidung von Folgeerkrankungen
- die normale körperliche Entwicklung
- die normale psychosoziale Entwicklung
Neben einer individuellen Diabetestherapie zählen dazu auch regelmäßige Untersuchungen bei diversen Ärzten.
Tabelle 1: Essenzielle Screening-Untersuchungen und Intervalle bei Kindern und Jugendlichen mit T1D
Screening auf… | Intervall | Wo? |
Augenschäden (Retinopathie) | alle 1-2 Jahre ab dem 11. Lebensjahr bzw. ab 5 Jahren Diabetesdauer | Augenarzt |
Nierenschäden (Nephropathie) | jährlich | Diabetologe/Kinderarzt |
Nervenschäden (Neuropathie) | bei langfristig schlechter Stoffwechsellage ab dem 11. Lebensjahr bzw. ab 5 Jahren Diabetesdauer jährlich | Neurologe |
Bluthochdruck | mindestens 1x jährlich ab dem 11. Lebensjahr | Diabetologe/Kinderarzt |
Fettstoffwechsel-Störung | alle 2 Jahre (vor der Pubertät alle 5 Jahre) | Diabetologe/Kinderarzt |
(Klein-)Kinder
Bis zu einer gewissen Altersstufe ist es normal, dass die Eltern die Behandlung ihres Kindes übernehmen (Kohlenhydratmenge festlegen, Insulin spritzen, Blutzucker messen etc.). Sobald die Kleinen in die Volkschule kommen, beginnt allerdings ein Prozess der Verantwortungsübertragung. Der Nachwuchs ist nun für einen Großteil des Tages auf sich allein gestellt und muss sich auch selbst um die Erkrankung kümmern. Und das in einer Zeit, in der man von seinen Mitschülern leicht als Außenseiter oder „Sonderling“ betrachtet wird, wenn man ein komisches Gerät mit Schlauch am Körper trägt.
Glücklicherweise ermöglichen moderne Blutzuckersensoren und Insulinpumpen mittlerweile die Übertragung von Daten in Echtzeit, was die Behandlung erheblich erleichtert. Insofern sind die Eltern (oder autorisierte Dritte) stets am neuesten Stand, was die Blutzuckereinstellung des Kindes betrifft. Ebenfalls hilfreich ist es eine kurze Checkliste für die Pädagoginnen und Pädagogen der jeweiligen Schule/Betreuungseinrichtung zu erstellen. Diese enthält Angaben zur:
- Blutzuckermessung (obere und untere Grenzen)
- Insulinabgabe (Modus, Zeit, Dosis)
- Mahlzeitenfestlegung
- Symptome und Handhabung von zu niedrigen oder zu hohen Blutzuckerwerten
- Maßnahmen bei Sport, Ausflügen und Schulveranstaltungen
Pubertät – Selbstständigkeit vs. Sorge der Eltern
Erwartungsgemäß gelten für ein sechsjähriges Kind andere Anforderungen an die Therapie als für einen 14-jährigen Jugendlichen. Die Pubertät ist eine ganz besondere Herausforderung und Entwicklungsaufgaben stehen im Widerspruch zu krankheitsspezifischen Ansprüchen. Während im Kindesalter die Verantwortung meist bei den beiden Elternteilen liegt, muss diese spätestens jetzt Stück für Stück an das Kind abgegeben werden. Hinzu kommen Dinge wie ein durch schwankende Hormonspiegel veränderter Insulinbedarf sowie der Wunsch nach mehr Freiheit und eine damit womöglich einhergehende Vernachlässigung des Diabetes. Das eine schließt das andere aber nicht aus, wie das vom Verein cuko organisierte „fes-D-val“ zeigt. Die dreitägige Veranstaltung bietet Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Gelegenheit sich mit gleichaltrigen Betroffenen in einer entspannten Atmosphäre auszutauschen. Multiprofessionelle Workshops bieten zudem Anregungen zur Erhaltung und Verbesserung der körperlichen und seelischen Gesundheit.
Auch Alkohol ist dabei ein Thema. Da die Leber durch den Abbau des Ethanols gewissermaßen „beschäftigt“ ist und keine Gluconeogenese (Neubildung von Zucker) stattfindet, benötigt der Körper in diesen Zeitraum weniger Insulin. Das genaue Ausmaß lässt sich schwer vorhersagen und hängt von mehreren Variablen wie Geschlecht, Körpergewicht, Körpergröße und dem Kohlenhydratgehalt der Getränke ab. Letzten Endes ist die Pubertät für Kinder und Eltern mit Belastungen und vielen Veränderungen verbunden, die am besten als Team bewältigt werden.
Noch ein Wort zu Diabetes und Covid-19
Nicht zuletzt scheint auch die Pandemie Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche mit T1D zu haben. Eine unlängst veröffentlichte populationsbasierte Studie ergab eine ungewöhnlich starke Zunahme der T1D-Inzidenz seit Pandemiebeginn. Ob es sich um eine kurzzeitige Schwankung, wie es sie schon früher gegeben hat, oder einen bleibenden Anstieg handelt wird erst im längeren Beobachtungszeitraum festzustellen sein. Fest steht, dass hierzulande im selben Zeitraum die Rate an diabetischen Ketoazidosen (gefährliche Stoffwechselentgleisung aufgrund von Insulinmangel) von rund 40% auf 60% bei Erstdiagnose angestiegen ist.
Die Autoren der Studie fordern deshalb Aufklärung über die klassischen Symptome des T1D, um das Bewusstsein der Bevölkerung dafür zu schärfen.
*Christopher Waxenegger ist Pharmazeut, Fach-Autor und Typ-1 Diabetiker.