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Bessere Werte bei Kindern: Closed Loops und Open Apps

Die INTERNATIONALE GESELLSCHAFT FÜR PÄDIATRIE UND JUGENDDIABETES (ISPAD) ist eine professionelle Organisation, deren Ziel es ist, klinische und grundlegende Wissenschaft, Forschung, Bildung und Interessenvertretung bei Diabetes bei Kindern und Jugendlichen zu fördern. Wir sprachen mit der Konferenzpräsidentin Prof. Dr. Sabine Hofer.

ISPAD-Konferenz 2017 in Innsbruck war voller Erfolg

Wir sprachen mit der Konferenzpräsidentin Prof. Dr. Sabine Hofer, Leiterin und FÄ für Kinder und Jugendheilkunde, FÄ für pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie an der Uniklinik Innsbruck.

PPH: Zunächst einmal gratuliere ich zum Erfolg dieser Veranstaltung. Sie sind zufrieden? 

Prof. Dr. Sabine Hofer: 
Sie war ein sehr großer Erfolg. Wir hatten 1500 Teilnehmer aus 79 Ländern. Es war eine sehr erfolgreiche Tagung. PPH: Großartig! Ich konnte feststellen, dass ein Projekt aus Indien vorgestellt wurde. Gender Diskrimination in Diabetes, von der Klinik des Dr. Pendsai, mit der wir seit vielen Jahren zu tun haben. Es gab aber auch andere Projekte aus dem sozialen Bereich, die vorgestellt wurden. Prof. Dr. Sabine Hofer: Ja, es gab sehr viele Projekte aus dem sozialen Bereich, die vorgestellt wurden und Indien hat deshalb eine große Bedeutung in diesem Meeting gehabt, weil die Jahrestagung 2018 dort stattfinden wird. 

PPH: Es waren einige unserer jungen „Diabetes-Aktivisten/Aktivistinnen“ dabei, unter anderem die Anna Pintsuk, eine 20-jährige, seit 6 Jahren Diabetes Typ 1. Sie hat sich besonders für die modernen Systeme interessiert. Was ist ihre Meinung zu Geräten wie z.B. Eversense-Sensor?" 

Prof. Dr. Sabine Hofer
Wir haben über die Gerätschaften nicht im Einzelnen diskutiert, sondern die Möglichkeiten der Behandlung von Diabetes im Kindesalter, im Besonderen bei kleinen Kindern, die Vielfalt der technischen Geräte. Also nicht spezifische Geräte, sondern die Vielfalt. Das ist besonders wichtig, weil man hat mit dieser Vielfalt einen gewissen Entwicklungsdruck entwickelt, im positiven Sinn. So hat man die besten Möglichkeiten herauszufinden, was am Geeignetsten für welche Altersgruppe ist. Ich denke, die technische Diabetes-Therapie hat einen sehr großen Anteil an diesem Kongress gehabt. Vor allen Dingen konnten wir erfahren, was wir so mittelfristig erwarten dürfen. So wissen wir, dass wir noch mehr Patienten mit noch mehr technischer Unterstützung behandeln werden können. In jenen Teilen der Welt, in denen wir Geld zur technischen Versorgung haben. Die Diabetes-Behandlung ist leider noch nicht flächendeckend auf der ganzen Welt. Es ist aus diversen Gründen noch nicht umsetzbar. Es gibt noch Länder dieser Welt, in denen wir Schwierigkeiten haben, überhaupt nur ausreichend Insulin für die Behandlung von Kindern mit Diabetes zu bringen. 

 

Prof. Dr. Sabine Hofer: 
Closed Loop ist eine Behandlung von Diabetes. Es ist sicher DAS Thema. Wir wollen damit zwei Punkte erreichen. Der erste Punkt, den wir als vorteilhaft bei der Verwendung von Closed Loop-Systemen sehen, ist eine Erwartung der Reduktion der Hypoglykämie. D.h. der Schutz, von vor allen Dingen sehr kleinen Patienten, die eine schlechte Hypoglykämie-Wahrnehmung haben, der Schutz vor Unterzuckerung.  

Der zweite Aspekt ist, der HbA1C ist nicht im Fokus, sondern wir zielen dahin, die Stundendauer pro Tag, in denen die Glukose im Normbereich ist, zu erhöhen. Das sie zwei wesentlichen Punkte. Es macht einen enormen Unterschied, ob man es schafft, die Kinder eine ganze Nacht im Normbereich zu halten, oder ob wir bei einer Spritztherapie höher halten müssen, um die Kinder vor Unterzuckerung schützen zu müssen. Da haben wir schon einen Schritt vorwärts getan, mit diesen Closed Loop-Systemen, um sie stabiler einstellen zu können. Oder besser gewährleisten zu können, dass sie über die Nachtstunden ihre Werte halten können.Einen negativen Punkt möchte ich auch sagen: Es geht um die psychischen Belastungen durch diese Diabetes-Therapie. Diese Datenflut, die Flut an Informationen. Die Herausforderung: wie geht man mit dieser Datenflut um? Permanent Werte über den eigenen Blutzuckerspiegel zu haben, zu erhalten. Das ist eine Herausforderung. Das stellt viele Patienten vor stressige Situationen, die schon psychologisches Management brauchen. 

PPH: Ein Schlagwort habe ich noch: Open Apps, also von Anwendern entwickelte Mini-Programme, die Pumpen und Messgeräte vernetzen und steuern. Was halten sie davon? 
 

Prof. Dr. Sabine Hofer: 
Das ist etwas, was dem Zeitgeist entspricht. Im Sinne von, man möchte nicht mehr warten, bis die Wissenschaft solide Dinge entsprechend abgearbeitet hat. Wir sind in dem Dilemma, dass die Wissenschaft Zeit braucht. D.h.: Wissenschaft > Hypothese> Technik> Testen>die Ergebnisse testen und dann eine Hypothese wissenschaftlicher Natur abgeben. 

Das ist ein Prozess der Zeit braucht, der aber mit dieser rasanten Entwicklung nicht mithalten kann. Daher sind zeitweise die Patienten gezwungen, in diesen verschiedenen Plattformen selbst zu forschen und daraus zu schließen und selbst zu experimentieren. Ich denke, wir können da etwas lernen. Allerdings habe ich als Wissenschaftlerin Hypothesen zu generieren und diese wissenschaftlich sauber und ordentlich und reproduzierbar zu testen. Ich habe aber volles Verständnis, dass auf Patientenebene, auf familiärer Ebene, die Bereitschaft auf diese wissenschaftlichen Ergebnisse zu warten, sehr gering ist. Ich kann es nachvollziehen. Ich muss allerdings als Wissenschaftlerin auf die Sicherheit unserer Patienten achtgeben. Die kann man nur gewährleisten, wenn die Gerätschaften wissenschaftlich sauber gelten 

PPH: Ich bin ganz bei ihnen. Aber die Jugend stürmt und forscht. Es ist eine rasante Entwicklung. Ich bin seit 22 Jahren Typ1, beobachte alles genau. Ich bin mittlerweile bei Sensor gelandet, warte nicht auf die Closed Loop-Systeme.  Ich denke, die letzte Kontrolle muss doch beim Patienten bleiben. Stimmen sie mir zu? 

Prof. Dr. Sabine Hofer
Ja, es ist notwendig, dass der Patient Herr seiner selbst bleibt. Wenn alle Technik nicht mehr funktioniert muss der Patient trotzdem immer wissen, was er tun kann und wie er seinen Diabetes behandeln kann. Ich spreche z.B. von akutem Problem bei Verlust oder auch nur leeren Batterien. Sich ausschließlich nur auf nur ein technisches System zu verlassen, kann in verschiedenen Lebenssituationen schwierig werden.  Vor allen Dingen deshalb, weil ja zeitgleich mit diesen Therapien die Flexibilität, die Erwartung sehr hoch ist. In Situationen wie Urlaubsreisen, aber auch in unserem Alltag, den wir in unserer Gesellschaft für uns einfordern, gibt es sehr viele Möglichkeiten, wo etwas passieren kann. Es können Bestandteile der Diabetestherapie kaputtgehen, man kann etwas verlieren. Jedes Individuum soll eigene, individuell zusammengestellte Rettungssysteme mit sich führen. 

PPH: Zum Schluss die Frage: soweit ich informiert bin ist die Entwicklung von Closed Loop schon in Betrieb, dass es schon Pumpen gibt, die die Insulinzufuhr abschalten, wenn der Wert zu gering wird 

Prof. Dr. Sabine Hofer
Vollständig ist immer ein sehr großes Wort. Wir sehen Probleme bei der großen Kohlehydratzufuhr, also beim Essen, da sehen wir sehr viele Probleme bei der automatischen Bolusabgabe. Wenn wir von den Systemen mittelfristig reden, reden wir von Semi-Closed Loop. Es heißt, für die Mahlzeit wird der Patient weiterhin das Bolus-Insulin über die Pumpensysteme abgeben müssen, aber, wir wissen wie das ist, der Bolus kann einmal ein bisschen zu viel sein, kann ein bisschen zu wenig sein. Dann braucht es immer noch für diesen Restbereich eine Steuerung um wieder in diesen Zielbereich zu gelangen. Diese Reststeuerung funktioniert bereits und wird in diversen Studien getestet. In der Kinderklinik Innsbruck, aber auch Kolleginnen in Graz und in Wien testen Semi-Closed Loop-Systeme bei Kleinkindern. 

Also zusammenfassend, ja, wir sind schon sehr weit, und zwar so weit, dass wir diese Semi-Closed Loop-Systeme bereits bei Kleinkindern in den nächsten vier Jahren im Rahmen eines EU weiten Projektes testen. Zwar in Zusammenarbeit mit der Klinik, aber die Kinder testen im Heimgebrauch. Sie sind zuhause, sie sind in ihrem normalen Alltag, sie gehen in die Schule, gehen in ihren Kindergarten, gehen in ihren Sportverein und brauchen ihre Semi-ClosedLoop-Systeme. Das können wir jetzt schon in Studien testen.

Prof. Dr. Sabine Hofer
Ja, die Diskussion im Rahmen unseres internationalen Kongresses war durchaus rege. Wir haben sehr intensiv über die HbA1c-Ziele diskutiert, denen wir uns als Kinderärzte stellen müssen. Wir haben beobachten dürfen, dass in den letzten 20 Jahren die Behandlung von Kindern mit Diabetes sich massiv verändert hat.  Es kam zu einer sehr deutlichen Reduktion des Hypoglykämierisikos bereits mit den Möglichkeiten, die uns schon heute zur Verfügung stehen. Wir sollten uns daher trauen, die HbA1c-Ziele für Kinder neu zu definieren und noch näher an den Normbereich heranzuführen. 

Aktuell sagt die internationale Guideline 7,5 Prozent sind das Ziel, es gibt aber auch Kollegen, die für Werte rund um 7 Prozent und darunter argumentieren und manche nehmen sogar schon einen Wert von 6,5 Prozent als Ziel an. Da wird noch viel zu diskutieren sein, aber ich bin optimistisch, dass der Langzeitwert ohne erhöhtes Unterzuckerrisiko noch gesenkt werden kann. 

Wir danken für das Gespräch. 

Foto: MUI