Berauschende Belohnung
Welche Gerichte wir gerne essen, entscheiden vor allem unsere Gefühle. Aber auch Gewohnheiten aus der Frühzeit prägen unseren Speiseplan.
Das erste sichtbare Glücksgefühl ereilt die Testpersonen, als sie gerade ein paar Stunden alt sind. Forsche der Pennsylvania University beträufeln die Zungen der Babys mit verschiedenen Geschmacksrichtungen – und staunen, wie prompt die Kleinen sichtlich emotional reagieren. Als die Kinder etwas Bitteres schmecken, verziehen sie intuitiv das Gesicht. Saures begeistert sie ebenso wenig, auf Salziges reagieren sie neutral. Und dann, als sich die süße Flüssigkeit auf ihren Geschmacksrezeptoren entfaltet, kommt das Glück: Die Gesichtszüge der Babys entspannen sich sofort. Mehr noch – sie können gar nicht genug bekommen.
Das flüsternde Gehirn
Essen, das zeigt dieses Experiment, ist im menschlichen Leben von Beginn an mehr als bloße Nahrungsaufnahme. Der beste Beweis dafür: Wir alle saugen Gefühle im wahrsten Sinn des Wortes bereits mit der Muttermilch auf. Denn beim Stillen versetzt das Bindungshormon Oxytocin sowohl den Körper der Mutter als auch den des Säuglings in einen wahren Glücksrausch. Verantwortlich für diese emotionale Seite des Essens ist das limbische System.
Eigentlich wird die Frage, ob und wie viel Risotto, Gemüseauflauf oder Obstsalat wir essen, vom Hypothalamus gesteuert, der als 5-Cent-großes Überlebenszentrum und Schaltstelle zwischen Körper und Großhirn der Taktgeber für Hunger und Sättigung ist. Weil es die Aufgabe des Überlebenszentrums ist, in Gefahrensituationen schnell zu reagieren, wird es ständig über die Sinnesorgane informiert. Was wir beim Anblick, Geruch oder Geschmack eines duftenden Apfelkuchens fühlen, leitet das limbische System als Emotionszentrale des Gehirns direkt an den Hypothalamus weiter – und zwar bevor das langsamere Großhirn davon in Kenntnis gesetzt wird.
Der Haken an dieser blitzschnellen Informationskette ist, dass wir vergessen wie satt wir bereits sind. Denn in diesem Moment ist das Erfahrungsgedächtnis des limbischen Systems, das uns zuflüstert „Bei der letzten Tafel Schokolade warst du doch so zufrieden“, größer als die Vernunft.
Wer also glaubt, er wähle die Marmeladensorte im Supermarkt ganz rational aus, der irrt. Das Gehirn lässt sich vielmehr verführen.
Eine Studie der Northwestern University belegt, dass gerade Menschenmit geringem sozialen Status die großen Packungen wählen. Sie kompensieren ihr schlechtere Selbstwertgefühl – eine absolut emotionale Entscheidung. Durch gezieltes Neuromarketing versucht die Werbung daher die unbewusste Gefühlslage der Konsumenten bei der Wahl ihrer Lebensmittel zu beeinflussen. Mit Packungsgrößen, Farben oder einem bestimmten Produktimage. Ein Limonadenetikett mit Partybild sorgt für gute Laune, eine Käsepackung mit französischen Wörtern für Urlaubsstimmung.
Wobei eine große Produktauswahl uns offenbar eher verwirrt, wie eine US-Psychologin herausfand. In einem Supermarkt bot sie den Kunden erst 24, dann nur noch sechs verschiedene Marmeladensorten an. Die größere Auswahl lockte zwar mehr Interessenten an, die Anzahl der Käufer stieg jedoch bei der kleinen Produktauswahl von 3 auf 30 Prozent.
Eine noch größere Rolle spielen unsere Gefühle bei der Lebensmittelwahl, wenn wir mit einem Produkt bereits Erfahrungen gesammelt haben. Auf hunderten „kleinen geistigen Karteikarten“ sind in den Nervenzellen des Gehirns unbewusste Emotionen verewigt. Mit „sorgsamen Notizen“, wann und wie genau die Salamipizza uns Freude machte – oder nicht.
Je nach abgespeicherter Gefühlslage fällt die Entscheidung für oder gegen ein Lebensmittel. Gerüche stimulieren das Erinnerungsvermögen sogar lebhafter als Fotos. Deshalb reicht ein kleiner Lufthauch Zimt, um sofort positive Weihnachtsstimmung zu empfinden. Ist uns andererseits von fettigen Bratkartoffeln vor Jahren schlecht geworden, kann das Gedächtnis den damit verbundenen Ekel in jeder Imbissbude wieder abrufen.
Das menschliche Gehirn liebt Gewohnheiten und berauscht sich selbst mit Belohnungsstoffen, wenn es routiniert handelt und Stoffwechselenergie spart. Ob jemand eine ausgesprochene Naschkatze ist, ist zwar nach Erkenntnissen der Universität Toronto genetisch festgelegt. Doch es lässt sich nicht leugnen, dass kulinarisch gesehen süße Gerichte bei allen Menschen die positivsten Gefühle hervorrufen. Ein emotionaler Ausnahmezustand, für den biochemische Prozesse im Gehirn zuständig sind. Grade Speisen mit reichlich Fett und Zucker sorgen dafür, dass der Körper Glückshormone wie Endorphine und Serotonin produziert. Sie wirken schmerzstillend und aufheiternd. Damit erklärt sich, warum wir manchmal mit zuckerhaltigem Essen gezielt unsere Seele streicheln.
Trostessen in der Kindheit
Das Zusammenspiel zwischen Nahrungsaufnahme und Gefühlen ist komplex und wechselseitig. Was wiederum bedeutet, dass sich problematisches Essverhalten nie alleine mit einem besseren Speiseplan ändern lässt. Doch woran liegt es, dass die einen sich in Kummer oder Prüfungsstress verlieren und in ihrem Essverhalten komplett aus der Bahn geworfen werden und die anderen normal weiteressen oder allenfalls kurz den Appetit verlieren?
So wie wir je nach Temperament Liebe unterschiedlich empfinden, gibt es verschiedene Esstypen. Warum genau diese sich herausbilden, dazu haben Wissenschaftler diverse Theorien. So gehen die eine davon aus, dass das Trostesse bereits in der Kindheit konditioniert wird, etwa wenn Eltern ihrem schreienden Kind stets ein Keks geben. Andere glauben, dass Fehler in der Signalkette zwischen Energiedepots und Gehirn schuld sind, wenn unser Denkorgan in Stresszeiten nicht registriert, dass bereits genug Glukose im Körper ist. Doch egal, welche Theorie das emotionale Essen erklären will, sicher ist in jedem Fall: Das Feintuning zwischen Nahrungsaufnahme und Emotion lässt sich verändern.
Psychologen empfehlen ein Esstagebuch: Was habe ich wann gegessen? Wie habe ich mich dabei gefühlt? Davon abgesehen ist es keineswegs so, dass nur Sachertorte und Eiscreme die Stimmung heben. Sport setzt ebenso Endorphine und Serotonin frei, Wer dennoch lieber schlemmt, kann genauso auf Fisch, Geflügel, Bananen oder Hülsenfrüchte setzen. Ihr Eiweißbaustein Tryptophan sorgt dafür, dass Serotonin produziert wird. Zusammen mit kohlenhydratreicher Nahrung wie Kartoffeln, die dem Tryptophan als Transportmittel dient, kann also schon Kartoffelpüree glücklich machen.
Und die gute Nachricht ist ja: Der Mensch ist beim Essen und seiner damit verbundenen Gefühlslage durchaus lernfähig. Das zeigt sich einmal mehr an Kleinkindern. Selbst wenn die Kleinen eine Speise bislang abgelehnt haben, mögen sie diese laut einer US-Studie sogar besonders gern, wenn sie damit wiederholt liebevoll von einem Erwachsenen gefüttert werden.
Im besten Fall kann die Emotion das Sahnehäubchen sein, das aus der Nahrungsaufnahme pure Freude macht.