Auf dem Weg zur Heilung von Typ-1-Diabetes
„Lässt sich Typ-1-Diabetes heilen? Bei einem Patienten scheint dies gelungen zu sein!“ – So titelte die „New York Times“ vor einem Jahr und stellte einen 64-jährigen Patienten aus einer laufenden Studie vor.
Der Mann war vor über 40 Jahren an Diabetes erkrankt und hatte an schwer kontrollierbarem Stoffwechsel gelitten. Als erstem Patienten weltweit wurden ihm aus allogenen Stammzellen generierte, voll differenzierte insulinproduzierende Inselzellen transplantiert. „Jetzt kontrolliert sein Körper wieder automatisch die Insulin- und Blutzuckerwerte“, so das Blatt.
Den weiteren Verlauf der Krankengeschichte hat Professor James Markmann vom Massachusetts General Hospital in Boston (USA) im Juni beim Kongress der American Diabetes Association (ADA) in New Orleans vorgestellt. Der Mann hatte vor dem Eingriff stark schwankende Glukosewerte gehabt (70 bis weit über 250 mg/dl) und mehrmals lebensbedrohliche Hypoglykämien erlitten. Der Insulintagesbedarf lag bei 34 Einheiten, die Glukosewerte waren nur zu 40 Prozent der Zeit im Zielbereich (TIR, time in range).
Nach Transplantation HbA1c-Wert eines Nicht-Diabetikers
Er erhielt zunächst die Hälfte der geplanten Inselzell-Zieldosis in die Pfortader injiziert. Die Zellen siedeln sich in den kleinen Gefäßen der Leber an. Ab Tag 120 nach der Transplantation benötigte der Patient nur noch 2,6 Einheiten Insulin täglich, die TIR betrug 80 Prozent. Ab Tag 270 benötigte der Patient gar kein Insulin mehr und der HbA1c-Wert lag bei 5,2 Prozent. Ein solcher Wert rechtfertigt die Diagnose Diabetes mellitus nicht mehr!
Inzwischen sind zwei weitere Patienten mit der Methode behandelt worden mit ebenfalls positiven initialen Ergebnissen. „Das sind recht ermutigende Resultate für diese neue Therapie, die das Potenzial hat, vielen Patienten zu helfen“, so der Transplantationschirurg Markmann.
Die Heilung des Diabetes hat aber einen Preis: Damit die transplantierten Betazellen nicht abgestoßen werden, ist eine Immunsuppression mit einem Medikamenten-Cocktail mit potenziell schweren Nebenwirkungen nötig. Professorin Barbara Ludwig von der Uniklinik Dresden spricht deshalb auch von „funktioneller Heilung“. Und diese lässt sich in ähnlicher Form auch mit der Transplantation von Inselzellen aus Organspenden erzielen.
Autologe Inselzelltransplantation nach Pankreatektomie
Besonders hilfreich ist das Verfahren bei Patienten mit autologer Inselzelltransplantation nach Pankreatektomie, berichtet die Leiterin des Inselzelltransplantationsprogramms in Dresden.
Das Problem: Nach Entfernung des Pankreas kommt es zu jäh einsetzender kompletter Insulin- und Glukagondefizienz. Der Stoffwechsel ist dadurch bei exogener Insulintherapie extrem instabil mit häufigen schweren Hypoglykämien. Da liege es nahe, die Inseln aus dem entfernten Pankreas zu retten, berichtet Ludwig in einem Interview mit dem Informationsportal „diabInfo“.
Schon während der Op zur Pankreatektomie werden die Inseln aufgereinigt, getestet und dem Patienten zurückgegeben. Abstoßungsreaktionen seien nicht zu befürchten. Transplantiert werden eigene Zellen, die der Körper anerkennt. „Es ist ein riesiger Benefit für Betroffene, wenn sie, wenn auch nicht alles, einen Teil der Inselzellfunktion behalten und damit eine sehr viel einfachere Regulation ihres Stoffwechsels haben“, sagt die Diabetologin dazu. Und: „Das könnte man sehr viel öfter machen!“
Transplantations-Fortschritte mit dem „Edmonton Protokoll“
Die Inselzelltransplantation ist bereits heute das bestmögliche Verfahren für Menschen mit Typ-1-Diabetes, die ihren Blutzucker auch unter optimaler Insulintherapie nicht kontrollieren können. Hierbei hat es in den vergangenen Jahren mit dem „Edmonton Protokoll“ große Fortschritte gegeben. Mit den verpflanzten Zellen wird initial bei etwa der Hälfte der Patienten eine Insulinunabhängigkeit erzielt.
Allerdings: Nach drei Jahren sinkt der Anteil auf 25 Prozent, im Vergleich zu 75 Prozent nach Pankreastransplantation. Das berichten Dr. Eleonora de Klerk und Dr. Matthias Hebrok vom Diabetes Center der University of California San Francisco (Front. Endocrinol. 2021: online 26. Februar). Wichtigstes Therapieziel des Verfahrens mit Inselzellen ist es, die chaotische Stoffwechselsituation zu stabilisieren, was auch weiter gelingt.
Wegen des Organspendermangels ist die Zahl der Inselzelltransplantation begrenzt. Zudem sind für eine herkömmliche Inselzelltransplantation oft zwei und mehr Organspenden nötig, so de Klerk und Hebrok.
Stammzellen als neue Betazell-Quelle für die Therapie
Die bei dem US-Patienten vor einem Jahr genutzten Inselzellen aus Stammzellen könnten künftig eine unbegrenzte Quelle werden. Mit Differenzierungsprotokollen gelinge es mittlerweile relativ gut, solche Zellen zu generieren, sagt die Diabetologin Ludwig dazu.
Es hapere allerdings noch an der ausreichenden Effizienz. Sie weist auch auf noch nicht völlig geklärte Fragen zur Sicherheit hin: Könnten sich die generierten Inselzellen wieder redifferenzieren und eine Tumorentwicklung begünstigen?
Eine weitere Quelle von Inselzellen für Menschen könnten genetisch modifizierte Schweine werden. Auch hierzu werde intensiv und erfolgreich geforscht, berichtet Ludwig. Sie verweist hierbei auf die kürzlich erste experimentelle Transplantation eines Schweineherzens auf einen Menschen.
Inselzellen von Schweinen gehörten dabei aktuell zu den wichtigsten Forschungsfeldern bei der Xenotransplantation, so die Ärztin. Allerdings gibt es auch hier Bedenken, etwa die mögliche Übertragung von Schweine-Krankheitserregern auf den Menschen.
Auch Autoimmunität bedroht verpflanzte Zellen
Ein Pferdefuß aller Formen von Inselzelltransplantationen bleibt zudem die notwendige Immunsuppression. Von Abstoßungsreaktionen bedroht sind dabei nicht nur als fremd erkannte Zellen, die etwa aus Stammzellen oder von Tieren stammen, sagt Ludwig. Durch die Autoimmunität bei Typ-1-Diabetes würden auch solche Zellen eliminiert, die den persönlichen körpereigenen Inselzellen ähnlich sind.
Um die verpflanzten Inselzellen dem Immunsystem zu entziehen, wird unter anderem an Verkapselungen geforscht. Ein Beispiel ist der an der Uniklinik Dresden von einem Team um Professor Stefan Bornstein und dem israelischen Biotech-Unternehmen Beta-O2 Technologie entwickelte Bioreaktor „BetaAir“.
Inselzell-Bioreaktor in der Entwicklung
Die etwa sechs Zentimeter große Kapsel wird wie ein Herzschrittmacher subkutan implantiert, und zwar unter die Bauchdecke. Sie enthält Inselzellen, die selbstständig den Blutzuckerspiegel messen und passgenau Insulin produzieren.
Die Zellen sind von einer Teflon-Membran umgeben, die zwar Hormone, Nährstoffe und Sauerstoff ungehindert passieren lässt, nicht aber körpereigene Immunzellen (SYNERGIE 2020; Ausgabe #2). Für die Weiterentwicklung des Systems wurde gerade das Zentrum für Metabolisch-Immunologische Erkrankungen und Therapietechnologien Sachsen (MITS) in Dresden eingeweiht.
„Ich bin zuversichtlich, dass die nächsten Jahre hier wirklich Fortschritte bringen werden“, betont Barbara Ludwig. Die Frage sei dabei: Nähern wir uns schon einem Punkt, wo es in größerem Umfang in die Klinik gehen kann?
Quelle: https://www.aerztezeitung.de/