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Akutkomplikationen des Diabetes

Was sind Akutkomplikationen? Die Rede ist von zu niedrigen Blutzuckerwerten (Hypoglykämien), zu hohen Blutzuckerwerten (Hyperglykämie) und diabetischen Ketoazidosen.

Von Mag. Christopher Waxenegger*

Vielen Menschen mit Diabetes sind die negativen Auswirkungen erhöhter Blutzuckerspiegel auf Herz, Niere, Augen und Nerven bewusst. Etwas anders sieht es beim Begriff „Akutkomplikationen“ aus. Hier zucken womöglich selbst langjährige Diabetes-Profis ratlos mit den Achseln. Gleichwohl ist es sehr wahrscheinlich, dass sie diese bereits am eigenen Leib erfahren haben. Die Rede ist von zu niedrigen Blutzuckerwerten (Hypoglykämien), zu hohen Blutzuckerwerten (Hyperglykämie) und diabetischen Ketoazidosen.

Typisch Medizin

Ärztinnen und Ärzte unterteilen Krankheiten und damit verbundene Symptome ausgesprochen gerne in akut und chronisch. Dies erlaubt Ihnen zeitgerecht angemessene Behandlungsmaßnahmen einzuleiten. Bei Diabetes ist es nicht anders. Beschwerden die Menschen mit Diabetes unvorhergesehen treffen erfordern meist ein zügiges Handeln, während die Vermeidung potenzieller Spätfolgen eher ein therapeutisches Kontinuum darstellt.

Akutkomplikation Nr. 1: Unterzucker

Hypoglykämien gehören zu den gängigen Nebenwirkungen einer Diabetes-Therapie. Das Risiko hängt wesentlich von der Art der verordneten Medikamente ab:

Niedriges Unterzuckerrisiko

Moderates Unterzuckerrisiko

Hohes Unterzuckerrisiko

Metformin

Sulfonylharnstoffe

  • Gliquidon
  • Gliclazid
  • Glimepirid
 

Insulin

DPP4-Hemmer

  • Saxagliptin
  • Sitagliptin
  • Vildagliptin
  • Alogliptin
  • Linagliptin
 

Glinide

  • Repaglinid
  • Nateglinid
 

 

GLP-1-Rezeptoragonisten

  • Exenatid
  • Liraglutid
  • Dulaglutid
  • Semaglutid
 

Mehrfachkombinationen oraler Antidiabetika

 

SGLT-2-Hemmer

  • Dapagliflozin
  • Empagliflozin
  • Ertugliflozin
  • Canagliflozin
 

 

 

Acarbose

 

 

Pioglitazon

 

 

Darüber hinaus steigt die Wahrscheinlichkeit für Hypoglykämien umso mehr, je niedriger der eingestellte Blutzuckerzielbereich ist. Hohe Blutzuckerwerte sind jedoch ebenfalls keine Lösung, da diese nachweislich nicht vor Hypoglykämien schützen. Es bleibt also beim schrittweisen Herantasten an den individuell verträglichsten Zielbereich.

Beschwerden bei Unterzucker

Klassische Hypoglykämie-Anzeichen sind Kaltschweiß, Heißhunger und Verwirrtheit („Whipple-Trias“). Unruhe, Zittern, beschleunigter Herzschlag, Gangunsicherheit, Sprach- und Sehstörungen bis hin zu Krampfanfällen und Koma sind allerdings ebenso möglich. Weniger bekannt ist, dass wiederholt zu niedrige Blutzuckerwerte auch Herzrhythmusstörungen und Demenz begünstigen. Zudem erhöhen Hypoglykämien das kardiovaskuläre Risiko, indem sie die natürliche Blutgerinnung beeinflussen. Dies erklärt mitunter, wieso schlecht eingestellte Patienten mit Diabetes öfter Herzinfarkte und Schlaganfalle erleiden als gut eingestellte.

Wichtigste Gegenmaßnahme ist der Verzehr von schnell resorbierbaren Kohlenhydraten (z.B. gezuckerten Limonaden, Süßigkeiten ohne Fett). Ist der Patient dazu nicht mehr in der Lage, sind Glukagon-Präparate verfügbar. Diese werden von einer in der Anwendung geschulten Person (Angehörige, Betreuer etc.) entweder in den Oberschenkel gespritzt (Glucagen® Hypokit von Novartis; Kassenrezept) oder als Nasenspray in die Nase gesprüht (Baqsimi® von Lilly; Privatrezept).

Vice versa – die Hyperglykämie

Im Gegensatz zu Hypoglykämien, die fast immer infolge der medikamentösen Behandlung entstehen, können Hyperglykämien viele Ursachen haben:

  • Neu aufgetretener Diabetes
  • Insulindosis zu gering bzw. vergessen
  • Defekte Insulinpumpe
  • Wirkung oraler Antidiabetika lässt nach
  • Falsche Einnahme der Diabetesmedikamente
  • Veränderte bzw. schlechte Ernährungsgewohnheiten
  • Andere Medikamente (z.B. Kortison, Diuretika)
  • Fieberhafte Infekte
  • Stress
  • Zu wenig Bewegung

Dies führt anfangs zu gesteigertem Harndrang, vermehrten Durst und Elektrolytstörungen, später zu trockenem Mund, abhebbaren Hautfalten und Muskelkrämpfen.

Mediziner unterscheiden zwei extreme Ausprägungen zu hoher Blutzuckerwerte:

  1. Ketoazidotisches Koma (= diabetische Ketoazidose)
  2. Nicht-ketoazidotisches Koma (=hyperosmolares Koma)

Diabetische Ketoazidose

Kennzeichnend für diese Akutkomplikation sind ein hoher Blutzucker, ein zu niedriger (saurer) pH-Wert des Blutes und ein Überschuss an Ketonkörpern. Ketonkörper sind chemische Verbindungen, die als Nebenprodukt der Fettverbrennung entstehen. Da Menschen mit Diabetes einen absoluten (Typ-1-Diabetes) oder relativen (Typ-2-Diabetes) Insulinmangel haben, greift ihr Körper unter bestimmten Voraussetzungen vermehrt auf diese Fettreserven zurück. Das Ergebnis: Die Konzentration der Ketonkörper im Blut steigt. In aller Regel tritt eine diabetische Ketoazidose im Rahmen eines Typ-1-Diabetes auf. Besonders gefährdet sind Insulinpumpenträger und Patienten, die SGLT-2-Hemmer einnehmen.

Die Symptome einer diabetischen Ketoazidose sind unspezifisch. Aufmerksam werden sollte man bei Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Azetongeruch (wie Nagellackentferner). In schweren Fällen zeigen Betroffene die charakteristische „Kussmaul-Atmung“. Auf diese Weise versucht der Körper, über die Lungen Kohlendioxid abzugeben und damit der Übersäuerung entgegenzuwirken. Bei Auftreten eines Hirnödems mit Koma kann sich die diabetische Ketoazidose rasch zu einer lebensbedrohlichen Krankheit entwickeln. Menschen unter Insulintherapie wird deshalb bei Blutzuckerwerten über 250mg/dl dazu geraten, die Ketonkörperkonzentration im Blut zu messen. Ist diese zu hoch, ist es wichtig viel zu trinken und kurzwirksames Insulin zu spritzen. Bessern sich weder Werte noch Symptome innerhalb weniger Stunden, ist ein Arztbesuch unumgänglich.

Hyperosmolares Koma

Das hyperosmolare Koma betrifft bevorzugt Menschen mit Typ-2-Diabetes, vor allem ältere. Oftmals dauert es Tage bis Wochen bis zum vollständigen Beschwerdebild. Kennzeichnend sind gesteigerter Harndrang, Durst, Gewichtsverlust sowie neurologische Beschwerden wie Verwirrtheit, Lethargie und Bewusstseinsstörung. Im Unterschied zur diabetischen Ketoazidose haben Patienten mit hyperosmolaren Koma für gewöhnlich keinen Ketonkörperüberschuss, dafür massiv erhöhte Blutzuckerwerte (über 600 mg/dl) und einen starken Flüssigkeitsmangel. Betroffene oder deren Angehörige sollten bei vermuteten hyperosmolaren Koma im Zweifelsfall nicht zögern, den Notarzt zu rufen. Dieser ersetzt Flüssigkeit, Elektrolyte und Insulin mithilfe einer Infusion.

 

*Christopher Waxenegger ist Pharmazeut, Fach-Autor und Typ-1 Diabetiker.