Ärzte-Challenges in Corona-Zeiten
ÖDG-Präsidentin Univ. Prof. Dr. Susanne Kaser im Interview mit Peter P. Hopfinger
Gäbe es das Virus nicht, hätten wir einander bestimmt in Wien beim EASD oder im November in Salzburg getroffen. Doch nicht nur der größte europäische Diabetes-Kongress wurde nur virtuell abgehalten, auch der von der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) geplante Jahreskongress wird ins Internet verlagert. Das macht Probleme beim Wissenstransfer – sowohl bei Ärzten als auch bei Patienten.
Diabetes Austria (DA):
In diesem Jahr hätte der Kongress der EASD (European Association for the Study of Diabetes) in Wien stattfinden sollen. Er gehört zu den Highlights der internationalen Bemühungen, Forschung auf dem Gebiet des Diabetes zu fördern und Ärzte über die neuesten Entwicklungen und Erkenntnisse zu informieren, was letztendlich allen Patienten zugutekommt. Aufgrund der speziellen Situation rund um Corona war nur eine virtuelle Version möglich. Dennoch waren mehr als 20.000 Teilnehmer dabei. Wie haben Sie diese Veranstaltung erlebt? Was waren aus Ihrer Sicht die inhaltlichen Highlights?
Univ. Prof. Dr. Susanne Kaser:
Es ist sehr schade, dass der EASD Kongress nicht wie geplant in Wien stattfinden konnte. Das Programm dieser virtuellen Tagung war trotz allem sehr gut, wichtige neue Studien zu den Themen Technologie, Folgeerkrankungen und deren Therapie wurden präsentiert.
Nichtsdestotrotz fehlte der Live-Charakter, die Möglichkeit zur Interaktion, Diskussion der Studienergebnisse und auch die Möglichkeit zum Netzwerken. Letzteres ist für die Wissenschaft essentiell, sodass wir nur hoffen können, bald wieder zu Vor Ort Kongressen übergehen zu können.
DA: Auch die für 19.-21. November geplante Jahrestagung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) wird virtuell abgehalten. Was bedeuten die derzeitigen Umstände für die Fortbildung von Ärzten generell und wie geht es hier weiter?
Univ. Prof. Dr. Susanne Kaser:
Wir haben uns lange gegen eine rein virtuelle Veranstaltung gewehrt und die Jahrestagung als Hybrid-Veranstaltung geplant. Letztendlich haben uns aber die aktuellen Entwicklungen zu der Entscheidung einer rein virtuellen Tagung gezwungen, allerdings mit einer großen Portion live Charakter. Die Fort- und Weiterbildungssituation ist derzeit sehr schwierig, vieles kann virtuell nicht in der Form vermittelt werden, wie es bei Veranstaltungen vor Ort der Fall wäre. Die wichtige Möglichkeit zum Austausch und zur Diskussion fehlt komplett.
Während kurze Webinare durchaus eine Ergänzung zum bisherigen Fortbildungsangebot sein können, ist die Sache mit mehrtägigen Kongressen schon viel schwieriger. Der Besuch eines virtuellen Kongresses bedeutet häufig, dass man neben der klinischen Tätigkeit in der Praxis oder im Krankenhaus eine Pause kurz für einen Vortrag nützt, der Informationsgewinn ist natürlich dann entsprechend gering.
Viele Krankenhausbetreiber untersagen momentan sogar die Teilnahme an Kongressen/Meetings, was auf den ersten Blick vielleicht als Sicherheitsmaßnahme verständlich ist. Es birgt aber eine große Gefahr: Covid-19 Infektionen haben andere Erkrankungen ja nicht ausgerottet, die Entwicklungen bei anderen Erkrankungen, was Diagnostik und Therapie betrifft, gehen weiter, wir müssen achtgeben, dass diese nicht an uns und damit an unseren PatientInnen vorübergehen.
DA: Wie wird denn eine optimale Versorgung von Diabetikern in Zukunft aussehen können?
Univ. Prof. Dr. Susanne Kaser:
Wir haben in den letzten Jahren einen enormen Fortschritt erleben dürfen, für Menschen mit Typ 1 Diabetes vor allem im Bereich der Technologie aber auch der Insuline, und bei Menschen mit Typ 2 Diabetes fantastische neue Medikamente, die viel mehr können als nur den Blutzucker zu senken.
Das alleine hilft aber unseren Patienten noch nicht, wir brauchen auch die notwendigen Strukturen, um die bestmögliche Therapie zu sichern. Wir hoffen und fordern als Fachgesellschaft, dass möglichst rasch die erste Versorgungsebene flächendeckend ausgebaut wird, weitere Versorgungsebenen für komplexe Therapien und Behandlungen implementiert werden, und dass diese innovativen Therapien den Patienten auch zugänglich gemacht werden. Dies hilft unseren Patienten, indem das Risiko für Folgeerkrankungen reduziert wird und die Lebensqualität steigt, gleichzeitig kann man dadurch auch langfristig Kosten sparen, was in Zeiten wie diesen sicherlich ein besonders relevanter Punkt ist.
DA: Die Corona-Zeit zeigt uns, dass gerade die Versorgung von chronisch Kranken nicht immer optimal läuft. Was kann man Diabetikern in der jetzigen Situation raten?
Univ. Prof. Dr. Susanne Kaser:
Die Covid-19 Situation im Frühjahr war eine absolut unerwartete und bis dato eigentlich undenkbare Ausnahmesituation, die mancherorts zu gravierenden Versorgungsdefiziten geführt hat. Auch wenn wir (hoffentlich) davon ausgehen können, dass sich dieses Szenario nicht wiederholt, sollten wir in puncto Versorgungsstruktur daraus etwas lernen. Zum Beispiel, dass – wie lange von der ÖDG gefordert – die erste Versorgungsebene flächendeckend ausgebaut wird und auch außerhalb der Spitäler Anlaufstellen für komplexe Therapien oder Erkrankungen, also weitere Versorgungsebenen errichtet werden.
Bei Menschen mit Diabetes appellieren wir – unabhängig von der aktuellen Situation – an die Eigenverantwortung, nicht nur was die unbedingt notwendige Umsetzung von Lebensstilmaßnahmen betrifft, sondern auch was Therapieadhärenz betrifft. Eine optimale Blutzuckereinstellung ist unerlässlich, um Folgeerkrankungen zu vermeiden, gleiches gilt für Blutdruck und Blutfette, regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen (z.B. augenärztliche Untersuchungen) und Präventionsmaßnahmen wie zum Beispiel die empfohlenen Impfungen (Influenza, Pneumokokken) sollten unbedingt wahrgenommen oder eingefordert werden.
DA: Andere Länder nutzen die systematische Erfassung von Patientengruppen in Registern, um diese besser versorgen zu können. In der Corona-Zeit wurde ein solches Register für Diabetes Patienten, die an SARS-CoV-2 erkrankt waren, in Österreich von der ÖDG eingeführt. Gibt es Bestrebungen, dieses Register in ein gesamtösterreichisches Diabetes-Register auszuweiten? Hätte dies Vorteile für die Patienten?
Univ. Prof. Dr. Susanne Kaser:
Eine Datenerfassung ist einerseits eine wichtige Qualitätskontrolle, vor allem aber ist sie unerlässlich zur Ressourcenplanung, denn wie sollen Versorgungs-strukturen geplant werden, wenn wir gar nicht genau wissen, wo und welcher Bedarf im Detail besteht. Eine möglichst vollständige Erfassung kann nur von öffentlicher Hand aus erfolgen. Auch dies ist eine langjährige Forderung der ÖDG, wir hoffen sehr, dass die Erfahrungen der letzten Monaten Anlass sind, dies nun rasch umzusetzen.
Wir haben als Fachgesellschaft im Frühjahr sehr kurzfristig ein Covid-19-Register ins Leben gerufen, um zu untersuchen, welche Menschen mit Diabetes ein besonders hohes Risiko für einen schweren Covid-19 Verlauf haben. Nur mit diesem Wissen können wir die Betroffenen optimal schützen. Viele große Covid-19 Zentren haben sich daran beteiligt, wofür wir uns auch sehr herzlich bedanken möchten. Die Resultate der ersten Auswertung werden wir kurz vor dem Weltdiabetestag im Rahmen eines Pressegesprächs präsentieren.