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Achtung! Der Blutzuckerspiegel ist außer Kontrolle!

Durch gezielte Auswahl der verfügbaren Medikamente können sowohl zu hohe als auch zu niedrige Blutzuckerspiegel vermieden werden.

Der Blutzuckerspiegel wird vom Körper normalerweise innerhalb enger Grenzen gehalten. Bei Menschen mit Diabetes gerät diese Funktion jedoch Zusehens außer Kontrolle. Durch gezielte Auswahl der verfügbaren Medikamente können jedoch sowohl zu hohe als auch zu niedrige Blutzuckerspiegel vermieden werden.

Von Mag. Christopher Waxenegger*

Wann spricht man von Unterzucker?

Glukose ist ein essenzieller Energielieferant. Sämtliche Kohlenhydrate, die wir mit der Nahrung zu uns nehmen - egal ob Brot, Erdäpfel, Süßigkeiten oder Vollkornprodukte - werden schlussendlich im Magen-Darm-Trakt abgebaut, aufgespalten und in einzelne Glukosemoleküle zerlegt. Von allen Organen ist das Gehirn am stärksten auf die ständige Versorgung mit Glukose angewiesen. Um diese Versorgung sicherzustellen, legt der Körper Glukosereservoirs („Glykogen“) an, auf die er bei Bedarf zurückgreift. Dadurch gelingt es ihm auch in der Zeit zwischen den Mahlzeiten den Blutzuckerspiegel innerhalb von 70 bis 100 mg/dl zu halten.

Hypoglykämien, umgangssprachlich „Unterzucker“ genannt, bezeichnen einen unnatürlich starken Abfall des Blutzuckerspiegels unter den festgelegten Normwert von 60 mg/dl. Bei gesunden Menschen ist ein derartiger Abfall selten der Fall und meist auf eine unzureichende Nahrungszufuhr, zu hohe Muskelarbeit (z.B. nach intensiven sportlichen Trainingseinheiten) oder übermäßigen Alkoholkonsum zurückzuführen (Alkohol hemmt die natürliche Gegenregulation zur Erhöhung des Blutzuckers in der Leber).

Für Menschen mit medikamentös behandelten Diabetes spielen freilich noch andere Faktoren eine Rolle. Antidiabetika sollen eigentlich krankhaft erhöhte Blutzuckerwerte auf ein Normalmaß senken. Bei Überdosierung oder wenn gleichzeitig andere Medikamente eingenommen werden, die ihre Wirkung verstärken, kann das allerdings schnell zu viel des Guten sein. Die Wahrscheinlichkeit für Hypoglykämien ist von mehreren Faktoren abhängig, unter anderem der Diabetesdauer, der Blutzuckereinstellung, der Nierenfunktion und dem Alter. Ein ganz wesentlicher Faktor ist zudem die Art der eingenommenen Medikamente (vgl. Tab. 1).

Tab. 1: Unterzuckerrisiko diverser Antidiabetika bei Monotherapie

Wirkstoffklasse

Hypoglykämie

Beispiele

Insulin

Ja

NPH-Insulin, Humaninsulin

Sulfonylharnstoffe

Ja

Glimepirid, Gliclazid

Glinide

Ja

Repaglinid, Nateglinid

Biguanide

Nein

Metformin

SGLT-2-Hemmer

Nein

Dapagliflozin, Empagliflozin

GLP-1-RA

Nein

Liraglutid, Semaglutid

DPP4-Hemmer

Nein

Vildagliptin, Linagliptin

Glitazone

Nein

Pioglitazon

Symptome bei Unterzucker

Es ist wichtig zu wissen, dass die Anzeichen einer Hypoglykämien nicht erst bei Werten <60 mg/dl auftreten können, sondern bereits früher. Die Wahrnehmung ist individuell äußerst variabel. So merken gut eingestellte Menschen mit Diabetes womöglich erst bei 50 mg/dl, dass etwas nicht in Ordnung ist, während Menschen mit langjährig zu hohen Blutzuckerwerten bereits bei beispielsweise 80 mg/dl erste Symptome zeigen. Mögliche Beschwerden sind dabei:

  • Zittern
  • Schwitzen
  • Herzrasen und -klopfen
  • Heißhunger
  • Müdigkeit
  • Verwirrtheit
  • Seh- und Sprachstörungen
  • Krampfanfälle
  • Bewusstseinsstörung
  • Koma

Komplikationen

Hypoglykämien galten lange Zeit als „akute Komplikation“ eines medikamentös behandelten Diabetes. Zweifelsohne ist diese Definition nicht von der Hand zu weisen, allerdings haben wiederholte Hypoglykämien sehr wohl auch Auswirkungen auf den weiteren Krankheitsverlauf. Die eingeschränkte Wahrnehmung im Zuge eines Unterzuckers erhöht die Sturzgefahr und kann bei entsprechend veranlagten Patienten bzw. ungünstigem Aufkommen auf dem Boden Knochenbrüche verursachen. Besonders bei älteren Menschen sind Knochenbrüche mit längerer Bettlägerigkeit verbunden. Selbst leichte Unterzuckerungen begünstigen Stürze und damit einhergehende Frakturen.

Hypoglykämien erhöhen darüber hinaus das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, indem sie unter anderem die Blutgerinnung verstärken und Radikale freisetzen. Auch kognitive Einschränkungen und Demenz sind einigen Studien zufolge eng mit gehäuften Hypoglykämien verbunden. Die Häufigkeit und Schwere von zu niedrigen Blutzuckerwerten sind interessanterweise nicht vom Hba1c-Wert abhängig – schlecht eingestellter Diabetes bietet demzufolge keinen „Hypoglykämie-Schutz“.

Auswahl der Medikamente

In den vergangenen Jahren wurden Anstrengungen unternommen Medikamente zu entwickeln die einerseits eine gute Blutzuckereinstellung gewährleisten und andererseits keine Hypoglykämien begünstigen. Eine der Wirkstoffklassen denen dies gelungen ist, ist die Gruppe der Glukagon-Like-Peptid-1-Rezeptor-Agonisten (kurz: GLP-1-RA). GLP-1-RA wie Liraglutid (Viktoza®) und Semaglutid (Ozempic®) stimulieren indirekt die Freisetzung von Insulin. Ihr Effekt ist im Gegensatz zu einigen anderen Antidiabetika jedoch glukoseabhängig - sie wirken also erst dann, wenn wir Nahrung zu uns nehmen. Das Auftreten symptomatischer Hypoglykämien war in den Zulassungsstudien mit Placebo vergleichbar.

Vorteilhaft ist daneben eine positive Beeinflussung des kardiovaskulären und renalen Risikos: GLP-1-RA schützen vor Herzinfarkten sowie Schlaganfällen und verringern die Ausscheidung von Albumin über Niere (Makroalbuminurie; Hinweis auf eine Störung der Nierenfunktion).   Die Verabreichung erfolgt als subkutane Injektion entweder 1x täglich (z.B. Viktoza®) oder 1x wöchentlich (z.B. Ozempic®). Bei wöchentlichen Präparaten sind zur leichteren Handhabung die dafür vorgesehenen Dosismengen in Form von Einmal-Fertigpens vordosiert und gebrauchsfertig verpackt (4 Pens pro Packung = Monatsbedarf).

Fazit

Durch intelligente Kombination verschiedener Antidiabetika lässt sich bei Menschen mit Typ-2-Diabetes sowohl das kardiovaskuläre/renale Risiko als auch das Risiko für Hypoglykämien deutlich reduzieren.

 

*Christopher Waxenegger ist Pharmazeut, Fach-Autor und Typ-1 Diabetiker.