100 Jahre Diabetestherapie
Von Mag. Christopher Waxenegger*
Obwohl Diabetes schon bei den alten Ägyptern Erwähnung gefunden hat, standen der Menschheit bis ins 20. Jahrhundert keine wirksamen Behandlungsmethoden zur Verfügung. Aufgrund des Insulinmangels ist der Körper nicht mehr in der Lage Kohlenhydrate effektiv zu verarbeiten und in die Zielzellen zu transportieren. Die Folge eines unbehandelten Diabetes sind dauerhaft erhöhte Blutzuckerspiegel, Austrocknung, Anhäufung von Ketonkörpern, Fett- und Muskelabbau zur Energiegewinnung und schließlich der Tod.
Geschichte des Insulins
Vor mittlerweile fast 100 Jahren, nach Bekanntwerden der blutzuckersenkenden Wirkung des Insulins, führten in Kanada die Herren Banting und Best die ersten Versuche an lebenden Hunden durch. Dafür zerkleinerten sie Bauchspeicheldrüsen, um eine Art Extrakt zu gewinnen. In der Folge wurde dieser Extrakt bestmöglich von unerwünschten Bestandteilen befreit und im Jänner 1922 der erste Mensch, ein Junge namens Leonhard Thompson, erfolgreich damit behandelt.
Innerhalb kürzester Zeit findet die Gabe von Insulin Eingang in die Medizin und Firmen spezialisieren sich auf dessen Herstellung. Bereits 1924 wird ein Kompendium zur Insulintherapie veröffentlicht und im selben Jahr die erste Glasspritze für die Insulinapplikation auf den Markt gebracht. Mit dem Wunsch länger wirksame Insulinformulierungen zu entwickeln, gelingt es 1936 dem dänischen Pharmakologen Hagedorn, Protamininsulin zu produzieren und mit Zink zu stabilisieren. Dieses sogenannte Protamin-Zink-Insulin erfährt 1946 mit dem Neutral-Protamin-Hagedorn-Insulin (NPH-Insulin) eine Verbesserung, welche sich bis heute am Markt behauptet. Von historischem Interesse sind zudem Insulin-Zink-Suspensionen, Lente-Insuline genannt, als auch Surfen- und Globininsuline, welche bis Mitte der 70er Jahre Anwendung fanden.
Die Aminosäureabfolge von Insulin wird 1955 publiziert. Es ist das erste erfolgreich kristallisierte, sequenzierte und durch Röntgenkristallographie untersuchte Hormon. Mit dem Monocomponent®-Insulin gelingt es 1973 der Firma Novo Nordisk, erstmals ein hochreines Insulinpräparat herzustellen. Durch Fortschritte in der Biochemie glückt fünf Jahre später schließlich die gentechnische Herstellung von Insulin. Anstrengungen in der Forschung führen dazu, dass 1996 das erste kurzwirksame und im Jahr 2000 das erste langwirksame Insulinanalogon auf den Markt kommen.
Insulinspritzen
Mit der Einführung des Insulins in die Therapie von Menschen mit Diabetes stellte sich auch die Frage wie dieses neuartige Arzneimittel korrekt verabreicht wird. Zu Beginn der Insulintherapie werden wiederverwendbare Spritzen aus Metall oder Glas verwendet, welche aus heutiger Sicht nicht nur unhandlich sind, sondern auch ein erhöhtes Infektionsrisiko aufweisen. Die erste Einwegspritze wird 1954 unter der Bezeichnung Hypak® eingeführt. 1985 folgt der erste Insulinpen der Welt.
Unter dem Namen NovoPen 1® läutet er die Zukunft der modernen Insulinsubstitution ein und löst damit nach und nach noch in Verwendung befindliche Glasspritzen ab. Schon seit Anbeginn ist man überdies auf der Suche nach nadelfreien Möglichkeiten zur Verabreichung von Insulin, bislang ohne Erfolg. Die Inhalation kann mit Exubera® 2007 keinen finanziellen Erfolg verbuchen und wird aus diesem Grund wieder vom Markt genommen. Jet-Injektoren, welche Insulin ohne Nadel unter hohem Druck ins subkutane Fettgewebe einbringen, haben die in sie gestellten schmerzfreien Erwartungen ebenso nicht erfüllt.
Entwicklung der Insulinpumpe
Im Laufe der Zeit erkennen Diabetologen wie wichtig eine normnahe Blutzuckereinstellung ist und welche Vorteile diese für die Patienten mit sich bringt. Mit dem Mill-Hill-Infuser wird 1976 der Versuch einer ständigen Zufuhr mit Insulin und Glukagon gestartet. Die Größe des Apparats, das Gewicht und die technischen Mängel sind von Anfang an Gründe, weswegen dieses Gerät nie flächendeckend eingesetzt wird. Die erste tragbare Insulinpumpe der Welt ist die Promedos® von Siemens. 1981 eingeführt wird sie nur mit Insulin befüllt und die Basalrate muss noch vom Arzt im Krankenhaus eingestellt werden.
Bis in die 1990er kommen noch weitere Insulinpumpen auf den Markt, die sich hinsichtlich Aussehen, Gewicht, Insulinreservoir und Funktion unterscheiden. Zu diesem Zeitpunkt zeichnen sich bereits Firmen ab, die sich komplett auf die Produktion von Insulinpumpen konzentrieren und auch heute noch zu den führenden Produzenten gehören. Batterien und Akkus werden nachfolgend Standard in der Stromversorgung von Pumpensystemen, wodurch die Handlichkeit weiter gesteigert werden kann. Zurzeit wird intensiv an sogenannten Closed-Loop-Systemen gearbeitet. Diese messen den aktuellen Blutzucker und geben Insulin (teilweise auch Glukagon) selbstständig nach einem bestimmten Algorithmus ab (künstliche Bauchspeicheldrüse).
Messung des Blutzuckers
Die Übersetzung von Diabetes mellitus „honigsüßer Ausfluss“ spiegelt den natürlichen Stoffwechsel des Zuckers und dessen Ausscheidung über den Urin wider. Erste Methoden zum Nachweis von Zucker konzentrieren sich deshalb auf den Harn. 1908 wird es mit dem Benedict-Reagens möglich die ungefähre Menge reduzierender Zucker zu bestimmen und in den 1920ern kommt der Glycurator®, eine handliche Version zur Harnzuckermessung, auf den deutschen Markt. Der Clinitest® verbessert 1941 die Alltagstauglichkeit, da bis dahin die Harn-Chemikalien-Lösung erhitzt werden muss.
1965 beginnt Ames die Vermarktung von Dextrostix®, der ersten Messmethode mit einem Teststreifen auf den ein Tropfen Blut aufgebracht wird. Anhand einer beigelegten Farbpalette kann, ähnlich wie bei den damals üblichen Harnzuckertests, die Glukosekonzentration abgelesen werden. Das Prinzip der Teststreifenmessung wird weiterentwickelt und stellt bis heute den Standard in der Blutglukosemessung dar. Die Entdeckung des glykosylierten Hämoglobins (HbA1c) 1968 und dessen Bestimmung sind weitere Meilensteine in der Verlaufskontrolle des Diabetes.
Heutige Blutzuckermessgeräte greifen auf einen erheblich größeren internen Datenspeicher und drahtlose Kommunikation zurück, mit deren Hilfe ein elektronisches Blutzuckerprofil erstellt werden kann. Das Streben nach ständiger Überwachung des Blutzuckers führte letztendlich zur Entwicklung der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM). Bei der CGM misst eine dünne, mit Enzymen beschichtete, Platinelektrode über geringste Spannungsänderungen im Gewebe den dortigen Gewebezucker. Diese Messdaten decken zum Beispiel den täglichen Blutzuckerverlauf, postprandiale Blutzuckerspitzen oder verborgene nächtliche Hypoglykämien auf. Durch Trendpfeile kann frühzeitig auf Unterzuckerungen reagiert und die Einstellung optimiert werden.
*Christopher Waxenegger ist Pharmazeut, Fach-Autor und Typ-1 Diabetiker.
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